- Kultur
- Jakob Wassermann
Kleine und kleinliche Leute
Jakob Wassermanns Essay »Mein Weg als Deutscher und Jude«, in dem er den Antisemitismus der Deutschen darlegt, erscheint in einer Neuausgabe
Der Mann ist so gut wie vergessen, obwohl er Anfang des 20. Jahrhunderts das war, was man heute als Bestsellerautor bezeichnen würde: Jakob Wassermann. Im Zeitraum zwischen dem Beginn des Ersten Weltkrieges und dem Ende der Weimarer Republik war er einer der meistgelesenen deutschsprachigen Erzähler, korrespondierte mit Kollegen wie Thomas Mann und Hugo von Hofmannsthal und verfasste mehrere dickleibige Erfolgsromane nacheinander, von welchen die bekanntesten »Das Gänsemännchen« (1915) und »Der Fall Mauritius« (1927) waren. Heute erinnert sich kaum noch jemand an den Autor und sein Werk, sieht man von einer Handvoll Literaturwissenschaftlern einmal ab.
Im Jahr 1921 – da ist der auch im Ausland hoch angesehene Romancier 48 Jahre alt – erschien sein autobiografisches Buch »Mein Weg als Deutscher und Jude«, in dem er die prägenden Erfahrungen festgehalten hatte, die er zeit seines Lebens mit dem alltäglichen Antisemitismus seiner Landsleute gemacht hatte. Auch wenn dieses Wissen heute als Allgemeingut betrachtet werden mag: Dass eine tief sitzende Feindseligkeit gegen alles vermeintlich Jüdische bereits in der wilhelminischen Ära fest im deutschen Alltag verankert war, geht klar aus diesen Aufzeichnungen hervor. So berichtete Wassermann etwa von Anfeindungen, die schon in seiner Kindheit und Jugend einsetzten: »Ein höhnischer Zuruf von Gassenjungen, ein giftiger Blick, abschätzige Miene, gewisse wiederkehrende Verächtlichkeit, das war alltäglich.«
Wer diese Erfahrung des Ausgeschlossenwerdens und der Zurückweisung nicht gemacht habe, so der Schriftsteller, könne kaum »ermessen, wie primitiv Nichtjuden in der Beurteilung dessen sind, was jüdisch ist und was sie für jüdisch halten«. Der »Rassenhass« der Menge werde »von den gröbsten Äußerlichkeiten genährt«.
Selbst Wassermanns eigenes Denken war nicht frei von den antisemitischen Klischees und Zwangsvorstellungen darüber, wie man sich eine »jüdische Physiognomie« vorzustellen hat, sondern offensichtlich kontaminiert von ebenjenen Zerrbildern und Stereotypen, die im Alltag und in den kulturindustriellen Erzeugnissen seiner Zeit allgegenwärtig waren: »Ich hatte eine gerade Nase und war still und bescheiden«, schreibt er etwa über sich selbst. Und über einen jüdischen Jugendfreund heißt es: »Ihm war der durchdringende jüdische Verstand gegeben.«
Die Umgebung, in der Wassermann aufwuchs, zwischen »schmutzigen Fabrikwässern«, »tristen Dörfern«, »hässlichen Steinbrüchen« und engstirnigen Provinzmenschen, schien nicht gerade dazu angetan, Lebensfreude zu wecken: »Erstickend in ihrer Einigkeit und Öde die gartenlose Stadt, Stadt des Rußes, der tausend Schlöte, des Maschinen- und Hämmergestampfes, der Bierwirtschaften, der verbissenen Betriebs- und Erwerbsgier, des Dichtbeieinander kleiner und kleinlicher Leute, der Luft der Armut und Lieblosigkeit im väterlichen Haus.«
»Zum erstenmal begegnete ich jenem in den Volkskörper gedrungenen dumpfen, starren, fast sprachlosen Hass. Er ist (...) ein besonderes deutsches Phänomen.«
Jakob Wassermann über seinen Militärdienst
Der in Fürth als Sohn eines frustrierten und erfolglosen, mehr und mehr verarmenden jüdischen Geschäftsmannes geborene Wassermann hatte schon früh im eigenen Elternhaus mit Ablehnung zu kämpfen. Auf die sich zeigenden literarischen Bestrebungen und künstlerischen Neigungen des Sohnes und dessen Wunsch, Schriftsteller zu werden, reagierte der Vater vor allem mit Widerwillen und Abscheu und versuchte, die »abgeirrte Neigung« des 15-Jährigen zu unterdrücken: »Es gab schlimme Szenen, Vorwürfe, Drohungen, Beschimpfungen, Hohn.«
Der Vater entwickelte sich zum »unerbittlichen Verfolger« des Sohnes, sodass dieser sich sogar irgendwann gezwungen sah, zum heimlichen Schreiben nachts aufzustehen, um bei Mondschein »am Fenster, in einem leidenschaftlichen inneren Zustand, Blatt um Blatt« vollzuschreiben.
Die Religion und deren praktische Ausübung sah der Schriftsteller schon in seiner Jugend als inhaltsleeren »Betrieb« oder »Drill«: »Mir war da alles hohler Lärm, Ertötung der Andacht, Missbrauch großer Worte, unbegründete Lamentation.« An religiösen Riten und Verrichtungen nahm er daher nur interesselos und gleichgültig teil. Doch die antisemitischen Ressentiments der Bevölkerungsmehrheit schienen gänzlich unabhängig davon zu sein, ob ein Jude religiös war oder nicht: »Genau betrachtet war man Jude nur dem Namen nach und durch die Feindseligkeit, Fremdheit oder Ablehnung der christlichen Umwelt, die sich ihrerseits hierzu auch nur auf ein Wort, auf Phrase, auf falschen Tatbestand setzte.«
Als Wassermann schließlich zur Armee kam, um seinen Militärdienst zu absolvieren, war er an die Erfahrung, stets als unzugehörig und fremdartig empfunden zu werden, schon gewohnt, doch der Antisemitismus, den er dort erlebte, hatte eine neue Qualität: »Zum erstenmal begegnete ich jenem in den Volkskörper gedrungenen dumpfen, starren, fast sprachlosen Hass (…) Er ist in solcher Verquickung und Hintergründigkeit ein besonderes deutsches Phänomen. Es ist ein deutscher Hass.«
Auch in der Folge begegnete der diverse Berufe ausübende angehende Autor fortwährend Menschen, die sich stets in ebenjenem Moment, als Wassermann in die Lage kam, seine Religionszugehörigkeit mitteilen zu müssen, von ihm abwendeten. Selbst von jenen, die ihm anfangs als weltoffen oder fortschrittlich gesinnt erschienen, wurde er plötzlich ausschließlich als Jude wahrgenommen. Das deutsche Blut-und-Boden-Denken und die Vorstellung, Juden seien »von anderer moralischer Beschaffenheit«, all das wollte Wassermann jedoch nicht einleuchten.
Umso größer schließlich sein Erstaunen, als er sich einem Freund anvertraute und dieser versuchte, ihn ausgerechnet mit dem Hinweis zu beruhigen, die Feindseligkeit der nichtjüdischen Deutschen gelte schließlich nicht Wassermann persönlich, sondern seiner »Abstammung, der Zugehörigkeit zu einem Fremdkörper innerhalb der Nation«.
Was in dem Erfolgsautor, der sich stets als Deutscher und Jude gleichermaßen begriff, schließlich irgendwann die Überzeugung keimen lassen musste: »Es ist vergeblich, das Volk der Dichter und Denker im Namen seiner Dichter und Denker zu beschwören. Jedes Vorurteil, das man abgetan glaubt, bringt, wie Aas die Würmer, tausend neue zutage. Es ist vergeblich, die rechte Wange hinzuhalten, wenn die linke geschlagen worden ist. Es macht sie nicht im mindesten bedenklich, es rührt sie nicht, es entwaffnet sie nicht: sie schlagen auch die rechte.«
Der im Jahr 1921 noch nationalkonservativ eingestellte Thomas Mann war, nach der Lektüre von Wassermanns autobiografischem Essay, der Ansicht, es hier mit Selbstmitleid und Übertreibung zu tun zu haben, vermochte den beklagten Antisemitismus nicht zu erkennen und verwies den Schriftstellerkollegen auf das »kosmopolitische« Deutschland. In einem Brief schrieb er: »Ein nationales Leben, von dem man den Juden auszusperren versuchte, in Hinsicht auf welches man ihm Misstrauen bezeigen könnte, gibt es denn das überhaupt?«
Ganz anders dagegen die Reaktion Hermann Hesses, der Wassermann im selben Jahr eine Postkarte schrieb, auf der er von den Deutschen als einem »gefährdeten u. kranken Volk« spricht: »Ich sehe in der Unfähigkeit des Deutschen, ein positives Verhältnis zu den Juden zu finden, eines der Hauptsymptome des infantil-neurotischen Charakters, den das deutsche Volk nun einmal zu haben scheint.«
Nur wenige Jahre später, 1933, als die Nazis an die Macht gewählt worden waren, kam Jakob Wassermann mit seinem Austritt aus der Akademie der Künste den neuen Machthabern zuvor, die ihn aus dieser entfernen wollten. Die Auswirkungen »dessen, was Jakob Wassermann an Bestialität im deutschen Idealismus vermutete, musste er nicht mehr erleben« (Bayerischer Rundfunk). Der Schriftsteller verstarb am Neujahrstag 1934.
Jakob Wassermann: »Mein Weg als Deutscher und Jude«. Wallstein, geb., 192 S., 26 €.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.