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Ines Schwerdtner: »Unser Fokus sind Klassenkämpfe«
Die Linke-Vorsitzende über den Bundestagswahlkampf, ihre Direktkandidatur in Berlin und praktischen Antifaschismus gegen die AfD
Ines Schwerdtner, fühlen Sie sich als letzter Strohhalm der Linken?
Nein, wieso?
So wurden Sie und Jan van Aken nach der Wahl als Parteivorsitzende in einer Schlagzeile bezeichnet.
Nein, im Gegenteil. Ich habe das Gefühl, dass die Partei sich gerade in eine positive Richtung entwickelt.
Wenn der Parteitag im Oktober ein Aufbruch war, wie beschreiben Sie dann die Lage der Linken jetzt, drei Monate später?
Kaum waren Jan und ich gewählt, ist die Ampel zerbrochen und wir standen mitten im Wahlkampf. Da bleibt kaum Zeit zum Reflektieren. Die ganze Partei hat sich voll motiviert dieser Herausforderung der vorgezogenen Wahl gestellt. Man kann es auch positiv sehen: Wir konnten die Aufbruchstimmung vom Parteitag direkt in den beginnenden Wahlkampf einspeisen. Wir haben viele neue Mitglieder, die Stimmung ist sehr gut, und das müssen wir jetzt in die Gesellschaft tragen.
Das wollte Die Linke in mindestens 100 000 Haustürgesprächen tun. Die Zeit dafür wird knapp.
Inzwischen haben wir die 100 000 schon geknackt. Und wir machen weiter. Wir gehen ja an die Haustüren nach dem Grundsatz »Andere reden, wir hören zu«. Und nach dem, was wir da hören, haben wir die Entscheidung für unsere Kampagnenschwerpunkte getroffen. Und es wirkt, wenn ich höre, wie nun auch die SPD über niedrigere Mehrwertsteuern redet. Oder wie die Grünen eine Zuhörkampagne starten.
Macht es den Wahlkampf für Die Linke schwieriger, wenn SPD und Grüne in Abgrenzung zu Union und FDP nach links rücken?
Die sind doch an der Regierung, und jetzt im Wahlkampf entdecken sie plötzlich ihre soziale Ader. Es nimmt ihnen doch niemand ab, dass sie sich jetzt plötzlich für bezahlbare Mieten einsetzen. Oder für preiswerte Lebensmittel, nachdem sie da während der Inflation gar nichts gemacht haben. SPD und Grüne sind unglaubwürdig – und da kommen wir ins Spiel.
Ines Schwerdtner ist seit drei Monaten Vorsitzende der Linkspartei. Im Oktober 2024 wurde die Publizistin gemeinsam mit Jan van Aken an die Parteispitze gewählt. Die beiden sollen die Krise der Partei beenden, die seit Jahren schwelt und durch die BSW-Abspaltung noch verschärft wurde. Kaum im Amt, wurden sie von der vorgezogenen Bundestagswahl überrascht, bei der es für Die Linke nach einer Serie von Wahlniederlagen ums Überleben geht. Der Winterwahlkampf ist ein Härtetest für die 35-Jährige, die im Berliner Wahlkreis Lichtenberg-Hohenschönhausen um eins der für Die Linke wichtigen Direktmandate kämpft.
Das Ergebnis der Haustürgespräche ist es, dass sich Die Linke im Wahlkampf vorrangig für soziale Themen wie Mieten, Rente, Lebensmittelpreise und eine Reichensteuer einsetzt. Hat Ihnen niemand etwas über Sicherheit und Migration erzählt?
Solche Themen kamen an vierter, fünfter Stelle, mit Abstand zu den sozialen Problemen. Und es gab oft eine generelle Unzufriedenheit mit der Politik, mit den politischen Eliten.
Wie groß ist die Versuchung, sich diesem Elitenbashing anzuschließen, um den Wählern zu gefallen?
Elitenkritik finde ich total legitim, aber wir sollten das anders als andere Parteien beantworten. Also nicht blinde Wut schüren, sondern über konkrete Verbesserungen für Menschen reden. Es ist auch eine Frage des politischen Ansatzes. Die Gehaltsbegrenzung, die Jan und ich für uns festgelegt haben, wird schon wahrgenommen, die Sozialsprechstunden auch. Die Linke im Bundestag hat die Mietwucher-App veröffentlicht, mit der in kurzer Zeit mehr als 22 000 Fälle von deutlich überhöhter Miete festgestellt wurden. Das ist konkrete Hilfe. Auch bei unserem Heizkostencheck, der schon zu umfangreichen Rückzahlungen geführt hat. So etwas spricht sich herum.
Mieten, Renten, Lebensmittelpreise als Kernthemen im Wahlkampf – wie geht das, ohne bei Migration oder dem sogenannten Kulturkampf den anderen Parteien, vor allem den Rechten, das Feld zu überlassen?
Unser Fokus sind Klassenkämpfe, aber mit Haltung. Sogenannte Kulturkämpfe führen wir, wenn Minderheiten angegriffen werden, aber vor allem geht es uns um die materiellen Interessen der großen Mehrheit. Wir kümmern uns vorrangig um die Themen, die die Menschen am meisten beschäftigen. Wenn es drauf ankommt, stehen wir aber natürlich auch bei den anderen Themen. Das unterscheidet uns vom BSW, aber auch von den Grünen und der SPD, die lieber auf Bürgergeldempfänger eindreschen oder sagen, Syrer müssten jetzt abgeschoben werden.
Vor einem Jahr wurde das Bündnis Sahra Wagenknecht im Wesentlichen als Abspaltung von der Linken gegründet. Seitdem versucht Die Linke, aus der Krise herauszukommen. Wie ist heute das Verhältnis zum BSW?
Deren Entscheidung, in Berlin genau in für uns aussichtsreichen Wahlkreisen Direktkandidaten aufzustellen, nehme ich als Versuch wahr, uns zu schaden. Das BSW hat sich auch immer weiter von linken Positionen wegbewegt. Inzwischen ist die Kluft inhaltlich so groß, dass ich mir gar nicht mehr vorstellen kann, gemeinsam mit denen in einer Partei gewesen zu sein.
Zum Beispiel?
Beim Draufhauen auf die Schwächsten. Bei bestimmten Positionen und Kompromissen während der Koalitionsverhandlungen in Thüringen und Brandenburg. In Brandenburg beteilige sie sich an einer Regierung, die Strukturfördermittel für die Ansiedlung von Rüstungsprojekten ausgibt. Das hat viele Menschen enttäuscht, das höre ich oft in Gesprächen. Gerade von Menschen, die friedenspolitische Hoffnungen auf das BSW gesetzt haben.
Was sagt Ihr Befund über die Wählerschaft der Linken, aus der viele zum BSW gewechselt sind?
Wir sind im Osten ja eigentlich Volkspartei, als einzige Partei, die spezifisch den ostdeutschen Blickwinkel im Programm hat. Das beinhaltet eine gewisse Breite. Es war die Stärke der Linken, Menschen aus unterschiedlichen Hintergründen zu überzeugen. Dahin müssen wir zurückkommen. Viele haben jetzt diese neue Partei ausprobiert. Unser Ziel ist es, die positive Vision und unsere Schwerpunkte Frieden und soziale Gerechtigkeit wieder in den Vordergrund zu stellen.
Wie erleben Sie das in Ihrem Wahlkreis Lichtenberg-Hohenschönhausen in Berlin?
Ich erlebe viele Menschen, die noch unentschlossen sind, wen sie wählen sollen. Die haben Sorgen wegen der Rente, wegen der Miete, wegen des Krieges. Ich zeige ihnen, ich bin ansprechbar. Sahra Wagenknecht kennt man höchstens vom Plakat oder von Ferne auf der Bühne. Gesine Lötzsch und ich sind jeden Tag vor Ort, machen Sprechstunden, haben klare soziale und friedenspolitische Positionen. Da kriegen die Leute einen Kaffee und können über ihre Probleme sprechen. Das ist unser Ansatz.
Kommt auch darauf an, wie groß die Kaffeekasse ist.
Ich glaube, viel mehr macht aus, dass jemand da ist und zuhört. Kaffee und Hilfe sind wichtig, aber vor allem praktizieren wir eine politische Haltung, und die lebt zum Beispiel auch Gesine Lötzsch in meinem Wahlkreis seit Langem vor.
Sie kandidieren in dem Wahlkreis, den Gesine Lötzsch seit 2002 immer gewonnen hat. Aber ein Wahlkreis ist kein Erbhof. In welcher Position sehen Sie sich im Wahlkampf?
Viele Leute freuen sich und sagen: Ach, Sie sind die Neue. Wir machen oft gemeinsam Wahlkampf, Gesine unterstützt mich sehr. Wir wollen zeigen, dass Die Linke weitermacht und sich dabei erneuert.
Bis zur Bundestagswahl sind es noch fünf Wochen. Wie weit reicht Ihre Geduld mit den Umfragen, die sich bei der Linkspartei nicht aus dem Drei- bis Vier-Prozent-Keller bewegen?
Wichtig ist, dass wir uns nach dem Parteitag im Oktober erst mal stabilisieren konnten. Jetzt geht es langsam aufwärts, Richtung fünf Prozent. Unsere Aufgabe ist jetzt zu zeigen, dass es wichtig ist, dass wir im Bundestag vertreten sind. Und dass wir das schaffen können. Dass jeder mit seiner Stimme dazu beitragen kann. Und wir machen deutlich, dass eine Stimme für Die Linke sicher wirkt, weil wir auch über die Direktmandate in den Bundestag kommen.
Ist das wirklich so sicher?
Sören Pellmann in Leipzig und ich Berlin kämpfen in unseren Wahlkreisen hauptsächlich gegen die AfD. In dieser zugespitzten Auseinandersetzung bekommen wir viel Unterstützung. Ich bin zuversichtlich, weil selbst SPD- und Grünen-Wähler sagen, Die Linke wird im Bundestag gebraucht, und außerdem wollen sie nicht, dass das Direktmandat an die AfD geht. Das mit der Erststimme zu verhindern ist praktischer Antifaschismus.
Kann es sein, dass der Milliardär Elon Musk mit seiner AfD-Propaganda die Rechnung der Linken durchkreuzt?
Was er macht,zeigt das krasse Demokratieproblem, das in der Machtkonzentration in den Händen von Milliardären liegt. Elon Musk ist da besonders schamlos und zeigt einmal mehr, wie wichtig eine Partei ist, die nicht käuflich ist. Aber ich glaube, für die Erststimmen ist es vor allem relevant, wie wir vor Ort auftreten.
Nimmt Musk eine unabänderliche Entwicklung vorweg – dass Wahlkämpfe in naher Zukunft ganz anders geführt werden, viel weniger Haustür, viel mehr Tiktok?
Direkt zu den Leuten zu gehen, der menschliche Kontakt, das kann man nicht durch einen Algorithmus ersetzen. Unsere größte Ressource sind die aktiven Mitglieder und ihre Begeisterung. Und auf Tiktok werden wir auch immer stärker und überlassen den Rechten nicht das Feld.
Gibt es einen Plan B für den Fall, dass Plan A – Wiedereinzug in den Bundestag – nicht funktioniert?
Plan A wird funktionieren. Und dann haben wir im Mai den Parteitag in Chemnitz, wo wir über strategische Fragen, über die Erneuerung der Partei reden werden. Mit einer Bundestagsfraktion im Rücken hat das natürlich eine ungleich größere gesellschaftliche Wirkung.
Egal wie die Wahl ausgeht – für die nächsten Jahre haben Sie eine programmatische Erneuerung der Linken angekündigt. In welche Richtung sollte die gehen?
Das Erfurter Programm gilt seit 2011. Es ist nach wie vor ein sehr gutes marxistisches Fundament, das sich erstaunlich gut bewährt hat. Aber seit 2011 ist viel passiert in der Welt, geopolitische Konflikte, technische Möglichkeiten und gesellschaftspolitische Fragen haben sich entwickelt und zugespitzt, und darauf brauchen wir als Linke in Deutschland und in Europa aktualisierte Antworten. Wir sollten mutig genug sein, uns dem zu stellen.
Seit genau einem Vierteljahr sind Sie Parteivorsitzende, die vorgezogene Bundestagswahl macht den Einstieg zum Crashkurs. Bis dahin waren Sie vor allem Beobachterin und Kommentatorin, nun stehen Sie selbst unter öffentlicher Beobachtung. Formulieren Sie vorsichtiger als vorher?
Ich bin manchmal mit meiner persönlichen Meinung etwas zurückhaltender, weil es etwas anderes ist, ob man nur für sich selbst spricht oder ob man die ganze Partei vertritt.
Was haben Sie in den letzten Wochen über die Politik gelernt, was Sie vorher nicht wussten?
Ganz viel Praxis. Es macht einen riesigen Unterschied, ob man etwas nur theoretisch weiß oder es praktisch tun muss. Dass ich gleich voll in den Wahlkampf starten musste, war schon eine Umstellung. Die Partei muss organisiert werden, ich bin fast jeden Tag im Wahlkreis unterwegs. Da treffe ich nicht nur auf Zustimmung, sondern werde auch mit kritischen Fragen konfrontiert, weil viele Leute von Politik insgesamt ziemlich abgegessen sind. Das lehrt eine gewisse Demut.
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