Wegen Schulden: Tausende Strom- und Gassperren in Berlin

9700 Berliner*innen wurde aufgrund von Zahlungsrückständen der Strom abgestellt

Kurz vor Schneeflocke: In Anbetracht leerer Geldbeutel und hoher Energiepreise drehen viele Menschen die Heizung runter – etliche verschulden sich auch.
Kurz vor Schneeflocke: In Anbetracht leerer Geldbeutel und hoher Energiepreise drehen viele Menschen die Heizung runter – etliche verschulden sich auch.

Wenn das Geld kaum bis zum Monatsende reicht, sparen die Menschen an allem Möglichen. Bei der Kultur, an der Supermarktkasse, aber auch beim Stromverbrauch und beim Heizen. Beim Neuabschluss eines Vertrages im Grundversorgungstarif der Gasag fallen monatlich 80 Euro für eine 50-Quadratmeter-Wohnung an. Lässt man die Heizung kalt, zahlt man nur den Grundpreis von 9,50 Euro. Mit den gesparten 70 Euro lässt sich einiges anfangen. Doch offenbar sind viele Menschen weder gewillt zu frieren, noch schaffen sie es am Ende des Monats ihre Strom- und Gasrechnung zu begleichen.

Wie aus einer noch unveröffentlichten Antwort des Berliner Senats auf eine Anfrage der Linksfraktion hervorgeht, wurde im vergangenen Jahr 9731 Berliner Haushalten die Stromversorgung aufgrund von Zahlungsrückständen gekappt. Das ist der erste Anstieg nach einem sukzessiven Rückgang in den vergangenen Jahren. Waren es im Jahr 2018 noch 18 877 Sperren, sank die Zahl auf 5569 im Jahr 2023.

1130 Haushalten wurde 2024 das Gas abgestellt, das ergibt eine weitere Anfrage der Linken. Das ist der niedrigste Wert der vergangenen zehn Jahre. Noch 2017 lag der Wert bei 2483 Haushalten. 2023 wurden 1398 Haushalte vom Gas getrennt. Wie die Gasag »nd« auf Anfrage mitteilte, vollzog sich der erneute Rückgang vor dem Hintergrund von Anpassungen im Mahn- und Sperrprozess. Das Unternehmen habe ein weiteres Mahnschreiben eingeführt, »das den betroffenen Kundinnen und Kunden noch einmal stärker verdeutlicht, welche Konsequenzen eine ausbleibende Zahlung mit sich bringt«. In dem Schreiben finde sich auch ein Hinweis auf das ausgebaute Beratungsangebot der Gasag.

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800 000 von zwei Millionen Wohnungen in Berlin greifen für das Heizen auf den Energieträger Gas zurück. Das geht auf einen 2023 veröffentlichten Bericht des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft zurück. Etwa gleich viele Haushalte werden mit Fernwärme versorgt.

Die Linke weist »nd« gegenüber daraufhin, dass die Zahl der unterbrochenen Gasanschlüsse weiter gesunken sei. Zugleich habe sich aber das Schuldenvolumen weiter vergrößert. So würden nach 10,1 Millionen Euro im Jahr 2022 und 15 Millionen Euro im Jahr 2023 im Jahr 2024 offene Zahlungen in Höhe von 16 Millionen Euro auf die Gaskund*innen entfallen.

Die Gasag leitet ab einem Zahlungsrückstand von 150 Euro den Sperrprozess ein. Für eine Unterbrechung der Stromversorgung muss der Zahlungsrückstand das Doppelte des monatlichen Abschlags und mehr als 100 Euro betragen.

Um Energiesperren, die aus den gestiegenen Verbraucherpreisen resultieren, zu vermeiden und aufzuheben, hat das Land Berlin 2023 einen Härtefallfonds geschaffen. 90 von 440 Antragsteller*innen wurden mit einer durchschnittlichen Zahlung von 1130 Euro aus dem Fonds im vergangenen Jahr entlastet. Aufgrund von anhaltend hohen Preisen will der Senat den Fonds auch in diesem Jahr weiterführen.

Die Linksfraktion im Abgeordnetenhaus hält die abfedernden Maßnahmen des Senats nicht für ausreichend. Laut Sebastian Scheel, Sprecher für Energie der Fraktion, müssten Strom- und Gassperren verboten werden. »Das Mindeste wäre die Einführung einer Genehmigungspflicht und behördliche Prüfung«, teilt Scheel mit. Nur so könne sichergestellt werden, dass besonders schutzbedürftigen Haushalten nicht die nötige Energie abgestellt werde. Entsprechende Beratungsangebote sollten durch den Senat dauerhaft abgesichert werden.

Scheels Fraktionskollegin Katina Schubert weist darauf hin, dass der im Regelsatz von Bezieher*innen von Sozialleistungen vorgesehene Anteil für Haushaltsstrom nicht ausreiche. »Energiekosten bei Bezieherinnen und Beziehern von Sozialleistungen müssen in der tatsächlichen Höhe übernommen und dynamisiert werden«, sagt Schubert.

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