Energie in Deutschland: Zweifel am »grünen« Stahl bleibt

Die CDU warnt vor Deindustrialisierung – und Klimaexperten fragen, welche Zukunft energie­intensive Fabriken hierzulande haben

  • Jörg Staude
  • Lesedauer: 5 Min.
Damit die Stahlwerke weiter laufen, will Friedrich Merz auf eine Umstellung auf Wasserstoff verzichten.
Damit die Stahlwerke weiter laufen, will Friedrich Merz auf eine Umstellung auf Wasserstoff verzichten.

Friedrich Merz hätte Härte zeigen können. Mitte Januar hatte sich der Kanzlerkandidat der Union vor Betriebsräten zweifelnd zum Konzept des »grünen Stahls« geäußert. Er glaube nicht daran, sagte Merz, dass der schnelle Wechsel zum Wasserstoff-Stahlwerk erfolgreich sein werde. Wo solle der Wasserstoff herkommen? Und dann sei die »grüne« Tonne Stahl mindestens 300 Euro teurer als die konventionelle. Wie so oft warnte Merz vor einer Deindustrialisierung – ohne sich mit der Frage zu befassen, wie wichtig energieintensive Industrien für die deutsche Wirtschaft überhaupt sind und inwieweit sie hierzulande eine Zukunft haben.

Nach harter Kritik ruderte Merz stattdessen tags darauf zurück. Er sei ein Befürworter regenerativer Energie und von Wasserstoff – und somit von grüner Stahlproduktion, gab er zu verstehen. Bezüglich der Kosten hätte der CDU-Chef nur hart rechnen müssen. Die Mehrkosten von 300 Euro pro Tonne Stahl verteuern zum Beispiel ein deutsches Verbrenner-Auto um weniger als ein Prozent. Ähnliches gilt für viele andere Stahlprodukte.

Auch haben Stahlverwender ein veritables Interesse an grünem Stahl. Nur mit diesem bekommen sie ihre Produkte klimaneutral. Laut der europäischen Umweltorganisation Transport & Environment (T & E) könnte »grüner« Stahl die CO2-Emissionen der europäischen Autoproduktion bis 2030 um knapp 7 Millionen Tonnen reduzieren.

So viel CO2-Einsparung bringt in etwa, nebenbei gesagt, auch ein generelles Tempolimit auf deutschen Straßen, und zwar jedes Jahr. Auch kostet ein Tempolimit im Unterschied zum »grünen« Stahl fast nichts. Damit Thyssen-Krupp in den nächsten 20 Jahren eine einzige Stahlkocherei auf Wasserstoff umstellt, sind dem Konzern 2 Milliarden Euro Förderung zugesagt worden.

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Die Industrie zu dekarbonisieren – damit steht Deutschland noch am Anfang. Das macht auch das jüngste Gutachten des Expertenrats für Klimafragen klar. In der Industrie gebe es nur »marginale« Fortschritte bei der Elektrifizierung von Prozessen, die bislang fossile Energie nutzen, stellt das Anfang Februar vorgelegte Zwei-Jahres-Gutachten fest. Von 2020 bis 2023 sei der Anteil von Kohle am Endenergieverbrauch in der Metallerzeugung sogar von rund 51 auf über 53 Prozent gestiegen. Kohle war einfach billiger als Gas.

Insgesamt aber hält die deutsche Industrie ihre gesetzlichen Klimapflichten bisher ein. Ursache ist indes weniger der Klimaschutz, sondern vor allem das geringe Produktionsniveau, verglichen mit dem besten Vorkrisenjahr 2019. Gerade energieintensive Industrien wie Grundstoffchemie und Metallerzeugung verzeichneten 2022 und 2023 eine deutlich gesunkene Produktion, konstatiert das Gutachten.

Damit die Industrie ihr Klimaziel für 2030 erreicht, muss sie ihr Tempo bei der CO2-Reduktion nahezu verdreifachen, rechnet das unabhängige Gremium vor. Dafür sei aber nicht genügend Wasserstoff verfügbar. Der H2-Ausbau sei bisher nur geringfügig vorangeschritten, sowohl bei der inländischen Erzeugung als auch beim Import des grünen Wasserstoffs.

Von 2020 bis 2023 ist der Anteil von Kohle am Endenergieverbrauch in der Metallerzeugung sogar von 51 auf 53 Prozent gestiegen. Kohle war einfach billiger als Gas.

Aufgrund der wenig rosigen Lage regte Hans-Martin Henning, der Chef des Klima-Expertenrats, jüngst eine offene Diskussion auch über die Zukunft der auf grünen Wasserstoff angewiesenen energieintensiven Industrien in Deutschland an. Wenn ab Mitte der 2030er Jahre immer mehr Wasserstoff in sonnen- und windreichen Regionen der Welt erzeugt werde, stelle sich die Frage, wie sinnvoll es ist, diesen Wasserstoff nach Deutschland zu importieren und hier Vorprodukte herzustellen, gab er zu bedenken. Ob es im Rahmen der internationalen Arbeitsteilung nicht besser sei, energieintensive Vorprodukte wie Ammoniak oder Eisenschwamm vor Ort herzustellen und erst dann nach Deutschland zu bringen, fragte der Physiker.

Genau dieser Frage widmet sich auch ein im Dezember veröffentlichter Report des Kopernikus-Projekts Ariadne. Das im Rahmen des nationalen Energieforschungsprogramms vorgelegte Papier weist darauf hin, dass Eisen-, Stahl- und Chemiebranche zwar wichtige energieintensive Grundstoffe für die deutsche Wirtschaft liefern, zugleich aber eher kleine Anteile an Beschäftigung und Wertschöpfung haben. So seien im bislang besten Produktionsjahr 2019 in Eisen und Stahl direkt etwa 120 000 Menschen beschäftigt gewesen, ein viertel Prozent aller Erwerbstätigen. Der Anteil der Branche an der gesamten Bruttowertschöpfung beziffert der Ariadne-Report auf etwa 0,3 Prozent.

Kurz gesagt: Um so wenig Wertschöpfung und Beschäftigung »ergrünen« zu lassen, wären viele öffentliche Milliarden zu investieren. Dazu gesellen sich Ausgaben für den Ausbau der erneuerbaren Energien, für den grünen Wasserstoff und die nötige neue Infrastruktur. Zugleich aber gibt es keine Garantie, dass sich das langfristig rentiert. Ein strukturelles Weiter-so in der Breite der energieintensiven Industrie in Deutschland sei »unrealistisch«, heißt es im Ariadne-Report.

Das liege nicht nur an mangelnder Wettbewerbsfähigkeit, sondern auch an »fundamentalen« physikalischen und ökonomischen Gründen. Diese erlaubten es nicht, sämtliche energieintensiven Produktionsschritte grüner Grundstoffe künftig in Deutschland durchzuführen. Dies mit Subventionen erzwingen zu wollen drohe in einer Sackgasse zu enden – klima- und industriepolitisch wie auch fiskalisch, warnt der Ariadne-Report.

Statt eines Weiter-so in Grün empfiehlt der Report, sich hierzulande stärker auf die hohe Wertschöpfung in der industriellen Weiterverarbeitung zu konzentrieren. Denn: Nicht der grüne Stahl macht den größten Teil des Werts etwa eines Autos aus, sondern das Know-how, das in dem Auto steckt, welches mehr und mehr einem fahrenden Laptop gleicht.

Die Ariadne-Fachleute wollen dabei nicht missverstanden werden. Es gehe um langfristige Entwicklungen und einzelne Fälle, in denen ausländische Produzenten mit guten Voraussetzungen für erneuerbare Energien grüne Produkte herstellen und global vermarkten, erklärt Mitautor Philipp Verpoort vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK) auf Nachfrage. »Wichtig ist, dass es sich bei den importierten Produkten nicht notwendigerweise um fertige Grundstoffe wie Stahl, Düngemittel oder Kunststoffe handelt, sondern um sogenannte Vorprodukte wie Eisenschwamm, Ammoniak oder Methanol«, betont Verpoort.

Der Report plädiert dafür, nur den energieintensivsten Schritt dorthin auszulagern, wo es günstigen grünen Wasserstoff gibt. Der hochwertige Teil der Produktion soll dagegen in Deutschland verbleiben. Dies als »Deindustrialisierung« zu bezeichnen wäre irreführend, bilanziert der Ariadne-Report. Merz hätte seine zweifelnde Position also auch klimapolitisch härten können. Doch auf diese Idee ist er nicht gekommen.

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