- Wirtschaft und Umwelt
- Antidiskriminierungsstelle des Bundes
Altersdiskriminierung auf dem Vormarsch
Am Arbeitsplatz, bei einem Arztbesuch oder bei der Wohnungssuche: ein Drittel der über 45-Jährigen erlebt Benachteiligung aufgrund des Alters
Eine 45-jährige Frau sitzt in einem Bewerbungsgespräch. Eine der ihr gestellten Fragen: Könne sie denn auch mit »jüngeren Leuten« umgehen? Es ist einer von über 8600 altersdiskriminierenden Fällen, die seit der Gründung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) im Jahr 2006 an sie herangetragen wurde. Grundsätzlich gilt für Frauen ab 40 sowie Männer ab 50 Jahren: In dem Alter wird es schwierig, nach einem Jobverlust einen neuen Beruf zu finden – selbst wenn in ihrer Sparte aufgrund des Fachkräftemangels gerade händeringend gesucht wird.
Laut einer repräsentativen Umfrage der ADS von Anfang März haben 45 Prozent der Menschen über 16 Jahre schon einmal Altersdiskriminierung erlebt. Das bedeutet, sie wurden nur aufgrund ihres Lebensalters nachteilig behandelt. Das sei demnach 52 Prozent der Menschen zwischen 16 und 44 Jahren passiert, außerdem jeder dritten Person über 65. Altersdiskriminierung werde, so die Bundesbeauftragte für Diskriminierung, Ferda Ataman, bei der Präsentation der Umfrage, von jüngeren Menschen aus Gründen vermehrt angegeben. Sie seien sensibler gegenüber Diskriminierung, ältere Personen hätten Benachteiligung umgekehrt häufiger verinnerlicht.
Für ältere Menschen scheint der Arbeitsplatz der demnach bedrohlichste Ort zu sein. 39 Prozent geben an, dort Diskriminierung erlebt zu haben. Das heißt, sie wurden aufgrund ihres Alters bei Bewerbungen abgelehnt, erhielten deshalb keine Weiterbildungen oder erlebten pauschale Unterstellungen. Ein Klassiker: Sie würden wegen ihres Alters nicht mehr mit Kolleg*innen mithalten können oder wollen. Jene negativen Einstellungen zum Alter belasten und schaden zudem, gerade in Zeiten des Fachkräftemangels, der Wirtschaft, urteilt Ataman.
Behandlungen »lohnen sich nicht«
Auch im Gesundheitsbereich gaben 27 Prozent der Betroffenen an, schon einmal diskriminiert worden zu sein. Ihnen wären zum Beispiel Behandlungen nicht angeboten worden, weil sich diese »nicht mehr lohnen«. Oder sie hätten keine Therapien für Erkrankungen wie Depressionen erhalten, weil diese als altersbedingt normal eingestuft worden seien.
Zudem erlebten Personen über 45 verstärkt Diskriminierung am Wohnungsmarkt (22 Prozent) und bei staatlichen Ämtern (21 Prozent). Beispielsweise, weil ihnen Arbeitsagenturen oder Jobcenter keine Maßnahmen mehr anbieten wollten, aber auch im Umgang mit Polizei oder Justiz. Eine Herausforderung in allen Bereichen sei zudem die zunehmende Digitalisierung der Gesellschaft.
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»Älteren wird täglich vermittelt, dass das, was sie erlebt und erlernt haben, nichts mehr wert ist«, stellt Regina Görner von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen fest. Das sei der wesentliche Unterschied zur Diskriminierung jüngerer Menschen. Ältere würden nicht ernst- oder wahrgenommen, was eine wachsende Generation »zutiefst verletze«. »Das hat am Ende Auswirkungen auf die gesamte Gesellschaft«, sagt Görner.
»Ernüchternd« seien, so Ataman, vor allem Antworten auf die Frage, wie Menschen gegen erfahrene Diskriminierung vorgehen würden. Beinahe die Hälfte gab an, nicht darauf reagiert zu haben. »Es gibt ein zu geringes Problembewusstsein für Altersdiskriminierung«, schließt Ataman daraus. Mit anderen Worten: »Betroffene haben sich damit abgefunden oder halten ihre Situation für normal«.
Sie würde mehr Menschen raten, sich für rechtliche Einschätzungen an Antidiskriminierungsstellen zu wenden, schließlich sei Altersdiskriminierung gesetzlich verboten. Allerdings, schränkt sie ein, sei das Gesetz sehr löchrig und es gebe es im ländlichen Raum häufig »auf Hunderte Kilometer« keine Beratungsstellen. Das müsse sich ändern.
Die Ampel-Regierung hatte erstmals im Koalitionsprogramm festgeschrieben, das Allgemeine Gleichstellungsgesetz zu reformieren. Passiert ist das allerdings nicht. Dass es diese Forderung in den Koalitionsvertrag von CDU und SPD schaffe, bezweifelt Ataman, sie sei aber »hoffungsfroh«. Darüber hinaus schlägt die Antidiskriminierungsstelle des Bundes vor, einen Nationalen Aktionsplan Antidiskriminierung vorzulegen und die Rechte älterer Menschen besser zu schützen, insbesondere bezüglich Digitalisierung.
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