Bessere Förderung für benachteiligte Kinder

Bei der Bildungspolitik gibt es keine Kehrtwende, aber Akzentverschiebungen

Die neue Koalition will die Ganztagsschulen weiter ausbauen.
Die neue Koalition will die Ganztagsschulen weiter ausbauen.

Wie groß der Handlungsdruck bei der Bildung ist, zeigt eine DIW-Studie, die während der Koalitionsverhandlungen veröffentlicht wurde. Demnach ist besonders in Deutschland bei Kindern, die eingeschult werden, der familiäre Hintergrund entscheidend für die sprachlichen Fähigkeiten und Mathekompetenzen. »Kinder aus Familien mit geringen Einkommen und geringerer elterlicher Bildung starten in Deutschland mit größeren Bildungsnachteilen in die Schule als in vielen anderen Ländern«, erläuterte Studienautor Jascha Dräger vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Ein Grund dafür, dass Deutschland, im Vergleich mit Ländern wie Frankreich oder Japan schlecht abschneidet, liege auf der Hand: Frühkindliche Bildungsangebote stünden nicht flächendeckend und kostenfrei zur Verfügung. Die Forschenden haben zudem herausgefunden, dass insbesondere die elterliche Bildung mit den Kompetenzen der Schulanfänger in Zusammenhang steht – noch mehr als das Einkommen.

Im Blick haben die künftigen Regierungspartner diese Defizite durchaus. Der erste Satz im Abschnitt zur Bildung im Koalitionsvertrag lautet: »Kinder und Jugendliche sollen ihr Potenzial unabhängig von ihrer Herkunft ausschöpfen können.« Ein Leitsatz sozusagen, den sich auch vorherige Koalitionen auf die Fahnen geschrieben hatten, aber nur unzureichend einlösen konnten. Studien offenbaren schon länger gravierende Wissenslücken bei älteren Schülern, die auch mit der Herkunft begründet werden. Doch Benachteiligungen gibt es schon im frühen Kindesalter, darauf lässt die DIW-Studie schließen.

Die neue Regierung hat sich vorgenommen, neue Akzente zu setzen, um diese Kinder zu fördern. Das Startchancenprogramm, das in sozialen Brennpunkten eine besondere Förderung von Schulen vorsieht, soll weiterentwickelt werden. Für die Kitas soll ein ähnliches Konzept entstehen: Das bisherige Qualitätsgesetz soll weiterentwickelt und das Programm Sprach-Kitas wieder aufgelegt werden. Dies ist eine besondere Förderung für Kinder, die Deutsch nicht als Muttersprache haben.

Die neue Koalition leitet keine Kehrtwende in der Bildung ein, sondern baut ihre Politik auf bekannten Programmen auf. Auch die Zuständigkeiten in den Ministerien werden nicht angetastet. Für die Kitas ist weiterhin das Familienministerium zuständig, künftig wohl von der CDU geführt, für Schulen das Bildungsministerium, das in die Hände der CSU gelegt wird.

Auch am Ganztagsausbau für die Grundschulen will die Koalition festhalten. Der Rechtsanspruch beginnt im kommenden Schuljahr mit den ersten Klassen. Maike Finnern, Vorsitzende der Erziehungsgewerkschaft GEW begrüßt das Vorhaben: Die Ganztagsschule mit mehr Investitionsmitteln und langfristiger zu fördern, sei unbedingt notwendig. Sie unterstützt viele Vorhaben der neuen Koalition, weist aber darauf hin, dass sie nur umzusetzen seien, wenn Bund und Länder gemeinsam den dramatischen Fachkräftemangel angehen.

Der Ganztagsausbau wird den Lehrkräftemangel an den Schulen wohl noch einmal verschärfen. Von fehlenden 110 000 Lehrern geht die GEW bis zum Jahr 2030 aus, und das, obwohl die Länder schon vielfach die Ausbildung von Lehrkräften intensiviert haben.

An den Kindergärten zeigt sich eine ähnliche Situation. Dort klafft nach Berechnungen des Paritätischen Gesamtverbandes derzeit bundesweit eine Lücke von rund 125 000 Erzieherinnen. Bundesweit fehlen außerdem rund 300 000 Kitaplätze. Darauf haben auch die Forschenden des DIW hingewiesen. »Insbesondere Kinder aus sozial benachteiligten Familien besuchen seltener eine Kita. Als Gründe dafür nennen Eltern zu hohe Gebühren, unpassende Betreuungszeiten und eine zu komplizierte Anmeldung«, heißt es in der Studie. In Frankreich sei dies einfacher gelöst. Die Betreuung zwischen drei und sechs Jahren sei dort kostenlos und einfach verfügbar. Die Herkunft spiele folglich bei der Bildung eine geringere Rolle.

Ob es einen Aufbruch in den Kitas und Schulen gibt, wird auch an den Mitteln liegen, die künftig dafür zur Verfügung stehen. Maike Finnern machte sich für 130 Milliarden Euro zusätzlich für Bildung aus dem Sondervermögen stark. »Union und SPD müssen diese Gelder bereitstellen, um unter anderem den massiven Investitionsstau wirksam zu bekämpfen«, erläuterte sie – um den Kindern und Jugendlichen »eine selbstbestimmte Zukunft zu geben«.

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