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Gisela Elsner: Die Langzeitlinksradikale

Tanja Röckemann wirft mit »Die Welt, betrachtet ohne Augenlider« einen umfassenden Blick auf Leben und Werk der Autorin Gisela Elsner

  • Peter Nowak
  • Lesedauer: 7 Min.
Ein Blick, der nur sachte verrät, dass man wenig Vertrauen in das Milieu der westdeutschen Linken hat.
Ein Blick, der nur sachte verrät, dass man wenig Vertrauen in das Milieu der westdeutschen Linken hat.

In der Bundesrepublik findet Zensur statt. Diese Zensur ist insofern schwer nachzuweisen, als sie nicht offen, sondern verdeckt vonstatten geht (…). Bei dieser Zensur handelt es sich um eine freiwillige Selbstzensur der Redakteure, Lektoren, Herausgeber oder Verlagsdirektoren.« So antwortete die Schriftstellerin Gisela Elsner 1986 auf einen »Fragebogen, die Literaturzensur Bundesrepublik Deutschland seit 1945 betreffend«.

Damals war Elsner schon neun Jahre Mitglied der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) und als Schriftstellerin recht bekannt. Das ist heute anders. Viele kennen Elsner höchstens aus dem Film »Die Unberührbare«, in dem ihr Sohn Oskar Röhler sie als drogenabhängige Salonkommunistin denunziert. Um so notwendiger, dass die »nd«-Wissenschaftsredakteurin Tanja Röckemann im Verbrecher-Verlag das Buch »Die Welt, betrachtet ohne Augenlider« herausgebracht hat, das der kommunistischen Schriftstellerin Gisela Elsner gerecht wird.

So handelt Röckemanns Buch auch von den Grenzen, die einer kommunistischen Schriftstellerin in der BRD der 1980er Jahre gesetzt wurden.

Es ist nicht nur eine Geschichte über Gisela Elsner, sondern auch ein Stück westdeutsche Literaturgeschichte. »Um Gisela Elsner als organisierter Kommunistin und der politischen Natur ihres literarischen Werks Rechnung zu tragen, konstituiert sich die vorliegende Studie maßgeblich entlang der politischen Landschaft der Bundesrepublik« (S.9), beschreibt Röckemann in der Einleitung ihre Herangehensweise.

Bei der Lektüre wird deutlich, wie viel linke Geschichte in den letzten Jahrzehnten verschüttet wurde. Das wird schon bei dem Eingangszitat deutlich. Wenn heute von Zensur die Rede ist, denken natürlich alle sofort an die DDR. Dass es Reglementierungen kritischer Literatur auch in der BRD gegeben hat, wird heute als alte DDR-Propaganda abgetan. Schließlich singen heute auch einst linke Intellektuelle das Hohelied auf die ach so freiheitliche Demokratie der BRD, die mit dem Fall der Mauer in ganz Deutschland gesiegt habe. Wer da noch Zweifel äußert, wird schnell als ewig-gestrig an den Rand gestellt.

Röckemann hingegen macht in »Die Welt, betrachtet ohne Augenlider« die Diskussionen wieder bekannt, die in den 1970er Jahren längst nicht nur in linksradikalen Kreisen über Zensur, Berufsverbote, über die massive Einschränkung der Demokratie in der BRD geführt wurden. Mitte der 1980er Jahre allerdings, in der Zeit also, in der Elsner über Zensur und Selbstzensur in der BRD schrieb, hatte sich der Wind gedreht. Viele Ex-Linke hatten schon ihren Frieden mit den Verhältnissen in der BRD gemacht oder sich im sektiererischen linken Zirkelwesen eingeigelt.

Auch darüber urteilt Elsner mit scharfer Polemik. So schreibt sie in einem Brief an Chris Hirte, der als Lektor des Verlags Volk und Welt für die DDR-Ausgaben von Eisners Büchern zuständig war, im Jahr 1986: »Der mörderischen, nihilistischen Anarchie des Imperialismus, der immer deutlicher einen dritten Weltkrieg anpeilt, setzen die außerparlamentarisch revoluzzernden, auf die schiefe Bahn geratenen Kleinbürgersöhne, Bürgersöhne, Künstler und Intellektuellen sowie die heimatlosen Linken, die bislang in einer nur minimalen Weise Kontakt zur Gewerkschaftsbewegung und zur Arbeiterklasse erreichen konnten und deshalb, einschließlich der kleinbürgerlich-pazifistischen Friedensbewegung, zur Erfolgslosigkeit determiniert sind, die gedanklichen Schwachstellen des Anarchismus entgegen.« (S. 18) Abgesehen von ihrer traditionskommunistischen Anarchismus-Schelte könnte die polemische, aber doch sehr zutreffende Beschreibung der zeitgenössischen Linken auch von Konkret-Herausgeber Hermann L. Gremliza nach 1989 stammen.

Elsner hatte aber schon Jahre vorher wenig Vertrauen in das Milieu der westdeutschen Linken. Auch ihre Einschätzung der deutschen Friedensbewegung der 1980er Jahre war viel ernüchternder und auch realistischer als die propagandistischen Lobeshymnen, die damals von der DKP und ihrem Umfeld zu hören waren. Deshalb hatte Elsner auch ihre Probleme mit der DKP, denen Röckemann ein eigenes Kapitel widmet. Im Juni 1989 trat Elsner sogar aus der DKP aus, doch vier Monate später machte sie diesen Schritt rückgängig. Elsner wollte sich nach dem Fall der Mauer nicht mit denen gemein machen, die damals der DKP oder linker Politik insgesamt den Rücken kehrten. Schließlich hatte Elsner auch keinen Umweg über die Sozialdemokratie genommen, wie Röckemann betont.

Damit unterschied sie sich von vielen Kurzzeitlinksradikalen, die ihre politische Sozialisation mit Wahlkampfhilfe für den SPD-Kanzlerkandidaten Willy Brandt begonnen hatten. Dass eine solche SPD-Wahlhilfe eine linksradikale Phase nicht ausschließt, machte die Filmemacherin Margarethe von Trotta in dem von ihrem Sohn gedrehten Film »Sympathisanten – Unser Deutscher Herbst« deutlich. Dort berichtet von Trotta, dass sie von der Beerdigung der am 18. Oktober 1977 im Hochsicherheitsgefängnis Stuttgart-Stammheim zu Tode gekommenen RAF-Gefangenen frühzeitig abreisen musste, weil sie von Willy Brandt zu einem Treffen der SPD-Wahlhelfer nach Bonn eingeladen worden war. Es ist verständlich, dass Elsner mit diesem Milieu und seinem Opportunismus nichts zu tun haben wollte. »Zu betonen ist hier, dass Elsner mit ihrer durchgängigen Abgrenzung von der SPD eine vergleichsweise partikulare Stellung in der bundesrepublikanischen Linken dieser Zeit einnimmt«, schreibt Röckemann.

Weil sie eben nicht zu denen gehörte, die ihre Biegsamkeit zur politischen Tugend verklärten, bekam Elsner auch bald Schwierigkeiten im Literaturbetrieb. So handelt Röckemanns Buch auch von den Grenzen, die einer kommunistischen Schriftstellerin in der BRD der 1980er Jahre gesetzt wurden. Akribisch geht die Autorin auf den Umgang des Rowohlt-Verlags mit Elsner ein. Zunächst war sie mit ihren Romanen wie »Das Berührungsverbot«, »Der Punktsieg« und »Abseits« bei Rowohlt sehr willkommen. Röckemann zeichnet nach, wie sich der Konflikt zwischen Autorin und Verlag zuspitzt, bis sie 1986 vom Verlag gekündigt wurde. Als der Verband der Schriftsteller in dem Konflikt vermitteln will, wird das von der Leitung des Rowohlt-Verlags zurückgewiesen.

Es gehe »nicht um die literarische Qualität von Elsners Werk«, sondern um andere Dinge zwischen Elsner und dem Rowohlt-Verlag, die ich ihnen nicht darstellen möchte« (S.130), zitiert Röckemann aus einem Schreiben des Rowohlt-Chefs Michael Naumann. Wie stark die Verlagskündigung Elsner auch finanziell traf, zeigt ein Brief, den sie an ihren Freund und Genossen Ronald M. Schernikau im Oktober 1986 schrieb: »Ich stehe wirklich vor dem Nichts. Seit Tagen kann ich kaum gehen, weil meine Knie butterweich sind.« (S. 131)

Es ist erfreulich, dass Röckemann öfter auch auf die prekäre finanzielle Situation der Autorin hinweist. Nach dem Rausschmiss bei Rowohlt konnten die DDR-Lizenzen die Verluste etwas ausgleichen. Elsner gehörte zu einer Reihe deutschsprachiger Autor*innen aus der BRD, der Schweiz und Österreich, deren Bücher in der DDR verlegt wurden. Nach dem Mauerfall verlor sie auch diese Einnahmequelle. Das Buch macht aber auch deutlich, dass das Ende der DDR für Elsner eine viel fundamentalere Zäsur war.

1990 löst Elsner ihre Wohnung in München auf und macht sich auf den Weg nach Berlin. Das ist der Zeitraum, der in dem Film »Die Unberührbare« von Oskar Röhler thematisiert wird. Es wird deutlich, dass sich Mutter und Sohn wenig zu sagen haben. Schließlich landet Elsner im Plattenbau im Osten Berlins. Doch bald geht sie zurück nach München. »In der DDR bestand für mich die Gefahr, dass man mich ins Irrenhaus einliefert«, schreibt sie im August 1990 an Schernikau. Er wurde für Elsner in dieser Zeit ein wichtiger Briefpartner. Röckemann bezeichnet Elsner wie Schernikau als sperrige Kommunist*innen. Beide waren Mitglieder der DKP und durchaus Kritiker*innen des offiziellen Parteikurses. Beide machen sich aber nicht gemein mit den Bestrebungen, die Partei zu sozialdemokratisieren.

Schernikau ließ sich noch im Herbst 1989 in die DDR einbürgern und verteidigte auf dem letzten Schriftstellerkongress im März 1990 in seiner viel beachteten Rede den Kommunismus, aber nicht die Politik der SED. Elsner machte im Herbst 1989 ihren Austritt aus der DKP rückgängig. Beide überlebten die DDR nur kurz. Schernikau starb am 20. Oktober 1991 in Berlin an Aids, Gisela Elsner verübte am 13. Mai 1992 Selbstmord. Schernikau wurde in den letzten 30 Jahren im Theater und Radio wiederentdeckt. Es wäre zu wünschen, wenn Röckemanns Buch dazu beiträgt, dass auch die Bücher von Gisela Elsner mehr gelesen werden. Der Verbrecher-Verlag hat einige neu aufgelegt.

Tanja Röckemann: Die Welt, betrachtet ohne Augenlider. Gisela Elsner, der Kommunismus und 68, Verbrecher Verlag, brosch., 405 S., 29 €.

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