• Kultur
  • Buchmesse Frankfurt am Main

Furchtbare Juristen

WEHRMACHTRICHTER

Was für eine Überraschung. Dieses Buch offeriert eine Wiederbegegnung mit Otto Gritschneder, dem 2005 verstorbenen Münchener Anwalt, der in der Nazi-Zeit wider die Mehrheit seiner Zunftkollegen hochanständig geblieben ist und daher – »zwar fachlich geeignet, politisch unzuverlässig« – Berufsverbot erlitt. Ein Angebot, sich am Justizterror im deutsch- besetzten Polen zu beteiligen, hat er mutig abgelehnt. In der Bundesrepublik blieb er Jahrzehnte ein einsamer Mahner; immer wieder erinnerte er an die Blutschuld der »furchtbaren Juristen«, die ungeniert und unbehelligt ihre Karriere im Rechtsstaat fortsetzten.

Manfred Messerschmidt, selbst ein jahrzehntelang hartnäckig Nazi-Verbrechen erforschender und anklagender Zeitgenosse, würdigt Gritschneders »seltenen Juristenmut«. Schon in seiner Dissertation hatte jener die in Hitlers Reich höchst provokante, gleichnishafte Frage aufgeworfen: »War das ›crucifige‹, mit dem das emotional aufgeheizte Volk seinerzeit am ersten Karfreitag die Hinrichtung des unschuldigen Juden Jesus Christus erzwang, ein ›gesundes Volksempfinden‹?« Im zweiten Staatsexamen 1939 polemisierte der junge Gritschneder gar gegen den NS-Chefideologen Alfred Rosenberg und dessen Machwerk »Mythos des XX. Jahrhunderts«. Im Herbst 1944 rettete er als Beisitzer eines Kriegsgerichts couragiert das Leben eines 18-jährigen Wehrmachtsoldaten.

Ein zweiter Aufsatz des Militärhistorikers Messerschmidt nennt die Opfer der NS-Militärjustiz: Deserteure, »Wehrkraftzersetzer«, »Kriegsverräter«, »Feldpostmarder«, »Rauschtäter« etc. Wolfram Wette berichtet über die frühe Selbstentlastung der Wehrmachtrichter, deren Zahl er auf 3000 schätzt, sowie die späte Rehabilitierung ihrer Opfer; als letzte waren 2009 die »Kriegsverräter« rehabilitiert. Dass sich hier vor allem die PDS respektive DIE LINKE leidenschaftlich engagiert hat, erwähnt der Autor nicht.

Wette betont: Die justizielle Ermordung von mehr als 20 000 deutschen Soldaten bleibe ein »ewiges Schandmal«. Er rät der Politik eindringlich, »auf eine neue deutsche Militärgerichtsbarkeit zu verzichten und nicht der Versuchung zu unterliegen, durch kriegsrechtliche Sondernormen den strafrechtlichen Schutz kritischer Soldaten und der Zivilbevölkerung zu verringern. Die Zuständigkeit für militärische Straftaten soll auch künftig bei den juristischen Instanzen der Zivilgesellschaft belassen werden.«

Mit der Forderung nach Wiedereinrichtung der Militärjustiz, erhoben vor allem vom Bundeswehrverband im Kontext mit dem Afghanistankrieg, setzt sich eingehender Helmut Kramer auseinander. Politikern wie Militärs sei auch der Beitrag des Wehrmachtdeserteurs Ludwig Baumann empfohlen, der u. a. »fassungslos« fragt: »Was haben wir am Hindukusch zu suchen?«

Nicht nur die Wehrmachtsrichter, sondern die deutsche Justiz und Beamtenelite sowie generell das Wesen der NS-Diktatur (»ein System antizivilisatorischer, durch keinerlei Rechtsschranken begrenzter Gewalt«) nehmen in ihrer kenntnisreichen, profunden, hoch informativen Einleitung Joachim Perels und Wette unter die Lupe. Dass sie der These von der Erfolgsgeschichte Bundesrepublik ein gewisses »Recht« zubilligen – u. a. hinsichtlich der »Funktionsfähigkeit des Parlamentarismus« sowie der »Rolle des Bundesverfassungsgerichts als Wahrerin der Grundrechte« – wird vielleicht nicht allgemeine Zustimmung finden. Wohl aber ihr bitteres Fazit: »Erst nachdem die Generation der einstigen Richter und Staatsanwälte der nationalsozialistischen Diktatur abgetreten ist, beginnt sich die Achtung des Grundgesetzes im Umgang mit nationalsozialistischen Verbrechen auch in der Justiz stärker durchzusetzen.« Aus der Täter-Generation werden im Buch mit ihrer Vita vor und nach 1945 Filbinger, Schwinge, Kesselring, Manstein, Massengeil und Mantel vorgestellt.

Doch zurück zu Otto Gritschneder: Als ich ihn 2001 während eines Interviews fragte, wie er sich dazu hergegeben konnte, 1949 anwaltlich die Eltern von Hitlers Liebchen Eva Braun zu vertreten, belehrte mich der ehrbare Jurist freundlich: »Wir sind doch keine Nazis! Sippenhaft gibt es mit mir nicht.«

Joachim Perels/Wolfram Wette: Mit reinem Gewissen. Wehrmachtrichter in der Bundesrepublik und ihre Opfer. Aufbau-Verlag. 474 S., geb., 29,90 €

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -