- Politik
- Spitzel in Wuppertal
Zehn Jahre ausspioniert
Linke Szene in Wuppertal wurde in den 1990er Jahren von einem Spitzel des Verfassungsschutzes beobachtet
Es kommt nicht selten vor, dass Spitzel innerhalb der linksradikalen Bewegung aufgedeckt werden. Fälle aus Hamburg und Heidelberg sorgten in den vergangenen Jahren für Schlagzeilen. Nun ist ein neuer Fall bekannt geworden. Jan P. hat die linksradikale Szene in Wuppertal von 1989 bis 1999 ausspioniert. Antifaschisten, die schon in den 1990er Jahren aktiv waren, veröffentlichten auf der Internetplattform Indymedia einen ausführlichen Beitrag über die Spitzeltätigkeit von P. Ans Tageslicht gekommen ist sie, weil P. sich an zwei Journalisten gewandt hat, die beide aus dem linken Milieus stammen.
Schon Mitte Mai veröffentlichte einer der beiden Journalisten Auszüge aus einem Interview mit dem Spitzel auf den »Nachdenkseiten«. Die Wuppertaler Antifaschisten, die sich jetzt zu dem Fall geäußert haben, beklagen, dass sie mit der Geschichte von Jan P. erst konfrontiert wurden, als diese veröffentlicht wurde. Sie werfen den beiden Journalisten außerdem vor, es versäumt zu haben, gemeinsam mit den Betroffenen des Spitzeleinsatzes eine Gegenrecherche durchzuführen. Ohne die Kenntnis der lokalen Begebenheiten sei eine Einordnung und Bewertung der Ereignisse nicht möglich.Solche Einordnungen versuchen die Verfasser des Indymedia-Beitrags nun vorzunehmen. Dabei werfen sie zig Fragen auf, die der freiwillige Schnüffler und seine Dienstherren im nordrhein-westfälischen Innenministerium beantworten sollten.
P. stößt bei einer Hausbesetzung 1989 zur autonomen Szene in Wuppertal. Gleichzeitig bietet er dem polizeilichen Staatsschutz seine Hilfe an und wird von ihm schnell an den Verfassungsschutz weitervermittelt. Bis 1999 bleibt Jan P. in der linken Szene aktiv, beteiligt sich an Antifa-Aktionen, dem Widerstand gegen Castor-Transporte und lebt in einer Szene-WG, in der er Treffen aufzeichnet und fotografiert.
Die drängendsten Fragen im Bezug auf die Spitzelkarriere stellen sich im Zusammenhang mit dem rassistischen Brandanschlag am 29. Mai 1993 in Solingen, bei dem fünf Menschen ermordet wurden. Die Täter, junge Neonazis, bewegten sich im Umfeld einer Kampfsportschule, die vom rechten V-Mann Bernd Schmitt aufgebaut wurde. Nach dem Brandanschlag verging mehr als ein Jahr, dann erst wurde die V-Mann-Tätigkeit Schmitts bekannt. Nach Ansicht der Wuppertaler Antifaschisten hatte der linke V-Mann Jan P. die Aufgabe, die Aufdeckung seines rechten Kollegen zu erschweren und dessen Tätigkeit zu entpolitisieren.
Dem NRW-Innenministerium war der enttarnte rechte V-Mann unangenehm. Herbert Schnoor (SPD), damals Innenminister, bezeichnete Schmitt als »nicht politisch«. Um diesen Eindruck zu untermauern, kam ein von Jan P. gedrehtes Video, in dem ein Solinger Antifaschist erklärte, Bernd Schmitt hätte Solinger Linken Informationen über Neonazis gegen eine entsprechende Bezahlung angeboten, wie gerufen. Das Video wurde vom Verfassungsschutz abgenickt und dem WDR zugespielt, der es in der Nachrichtensendung »Aktuelle Stunde« verwendete. Auch andere Aktionen des V-Mann P. hatten eklatante Folgen. So trug er dazu bei, dass bei einer friedlichen Straßentheateraktion gegen die Kooperation des Wuppertaler Staatsschutz mit Neonazis ein Spezialeinsatzkommando mehrere Linke schwer verletzte und traumatisierte.
Nun planen Antifaschisten aus Wuppertal eine ausführlichere Aufarbeitung der V-Mann-Tätigkeit. Die Geschichte vom geläuterten ex-Spitzel wollen sie Jan P. nicht glauben. Sie wollen außerdem auf die damals Verantwortlichen bei Polizei und Verfassungsschutz aufmerksam machen.
In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!