- Kultur
- Bertolt Brecht und das Lehrstück
»Ändert die Welt, verändert euch!«
Das Berliner Literaturforum im Brecht-Haus lädt zu einer Diskussion »Über das Lehrstück«
Reiner Steinweg, Jahrgang 1939, dürfte dem einen oder anderen aus mehr als nur einem Grund bekannt sein. Erstens ist er ein renommierter Friedens- und Konfliktforscher, der sich unter anderem durch seine fundierten Publikationen im Suhrkamp-Verlag zu Militarisierung, Kriegseifer und Rüstungswahnsinn hervorgetan und neben dem Mächtemessen in der Weltpolitik auch den Entwicklungen in den sozialen Bewegungen seine Aufmerksamkeit geschenkt hat. Es handelt sich um in die Jahre gekommene Betrachtungen und Interventionen, die - so phrasenhaft das auch klingen mag - erschreckend aktuell sind.
Zweitens ist der Name Steinweg aber ebenso mit dem Bertolt Brechts verbunden, genauer gesagt: mit dessen Modell des Lehrstücktheaters. Er hat sich als einer der wichtigsten Brecht-Forscher der Gegenwart nicht nur theoretisch an diese experimentelle Kunstform gewagt, sondern sie auch praktisch zu rekonstruieren und zu erweitern versucht.
Das Brecht’sche Lehrstück, um 1930 entwickelt, zielte auf den Spielenden als einen Lernenden. In den Jahren der Weimarer Republik brachen sich Laien-, auch Schüler- und Lehrlingstheater, Bahn. Brecht, angetreten, nicht weniger zu leisten, als ein Theater der Zukunft vorwegzunehmen, war an diesen zeitgenössischen Spielformen interessiert. Sogenannte Schulopern aufgreifend, schrieb er mit Unterstützung herausragender Komponisten - Kurt Weill, Paul Dessau, Paul Hindemith waren darunter - szenische Anordnungen für Schüler, die nicht für ein Publikum bestimmt waren. Im Prozess des zeigenden Spielens wurden Haltungen eingeübt - und vielleicht auch verworfen. Zu diesen hochinteressanten und höchst umstrittenen Stücken zählen unter anderem »Der Jasager« mit dem - typisch Brecht! - irritierend schönen Satz »Wichtig zu lernen vor allem ist Einverständnis«, das sogleich einen »Neinsager« provoziert hat, der skandalträchtige Text »Die Maßnahme« sowie »Die Ausnahme und die Regel«. Inhaltlich stehen darin das Verhältnis von Individuum und Kollektiv im Mittelpunkt, formal handelt es sich um ein auf die Spitze getriebenes episches Theater.
Mit reichlich emanzipatorischem Anspruch ist Brecht damals am Werk gewesen. Und noch heute sind seine Lehrstücke wesentliche Impulsgeber für ein Theater, das nicht für das Absaufen in der Unterhaltungsmaschinerie prädestiniert ist. Allein, der Name Lehrstück klingt ziemlich pädagogisch und damit irgendwie verdächtig. Brecht fand ihn selbst bald nicht mehr passend und plädierte für die anglophone Alternative »Learning Play«. Aber von solchen Petitessen sollten wir uns nicht in die Irre führen lassen - Brecht wusste und formulierte häufig, dass Lernen und Denken zu den schönsten menschlichen Vergnügungen zählen.
Reiner Steinweg lehrt und lernt für einige Tage in Berlin und arbeitet mit einer Gruppe von Kulturschaffenden und Aktivisten praktisch am Lehrstück. Am Mittwoch stellt er in einer Diskussion, die auch digital übertragen wird, am rechten Ort, also im Literaturforum im Brecht-Haus, die Ergebnisse dieses Workshops vor.
Die Diskussionsveranstaltung »Über das Lehrstück« mit Reiner Steinweg findet am Mittwoch, 4. Mai, 20 Uhr im Literaturforum im Brecht-Haus statt, Chausseestr. 125, Berlin-Mitte. www.lfbrecht.de
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