Barbie lernt das Patriarchat kennen

Kluge Ideen, lustige Szenen, poppiger Feminismus und selbstironischer Tonfall: Greta Gerwigs lang erwarteter Film »Barbie« verblüfft

Die stereotype Barbie (Margot Robbie) und der stereotype Ken (Ryan Gosling) auf dem Weg zur realen Welt
Die stereotype Barbie (Margot Robbie) und der stereotype Ken (Ryan Gosling) auf dem Weg zur realen Welt

»Women at Work.« Das ist ein normales Straßenschild im pinken Barbie-Land. Denn das Barbie-Land wird (wer hätte das gedacht!) nur von Frauen regiert. Egal, ob Müllwerkerinnen, Physikerinnen oder Ärztinnen, alle Berufe werden von Frauen übernommen. Auch eine Barbie-Präsidentin gibt es. Überall sind es nur Frauenbilder und Frauenvorbilder. In den Nachrichten Nobelpreisträgerinnen, draußen in den Felsen Köpfe der wichtigsten Politikerinnen.

Diese Puppenwelt ist außerdem divers, die Barbies haben verschiedene Hautfarben und Körpergrößen. Es gibt sie im Rollstuhl oder als Meerjungfrau. Und natürlich als stereotype Barbie: das erste Modell der Puppe, die schlanke, weiße, blonde, die nichts machen muss, außer perfekt und schön zu sein. Und Männer? Ja, es gibt auch Kens, die einfach da sind, aber nicht als Begleiter von, sondern vielmehr als Accessoires für Barbies. Zum Beispiel der Strandtag-Ken, dessen Aufgabe bloß darin besteht, am Strand zu sein, nicht mal als Bademeister – er kann nämlich nicht einmal schwimmen.

In der Barbie-Welt ist jeder Tag der Beste. Und jeder Abend ein Frauenabend. Nur lachende Lippen. Happiness ohne Ende – wenn nicht die stereotype Barbie auf einmal Todesgedanken bekäme.

Bäm! »Barbie« verblüfft. Der von der US-Regisseurin und Schauspielerin Greta Gerwig gedrehte Film – unterstützt vom US-Spielzeug-Konzern Mattel, der die Puppe seit 1959 herstellt – ist nicht nur gut darin, die Details der Barbie-Häuser, -Klamotten oder Accessoires auf den Punkt genau darzustellen und bei mancher Zuschauer*in Nostalgie zu wecken, sondern arbeitet sehr fein mit Fantasie und vor allem mit Selbstironie.

Ein kleines Merkmal der Barbie-Puppe wird brillant verspottet. Alle, die zumindest einmal eine Barbie in der Hand hatten, wissen, dass deren Füße nur für hochhackige Schuhe geformt sind. Dass die Fersen den Boden nicht berühren. Und plötzlich: Die stereotype Barbie (Margot Robbie) bekommt Plattfüße. Ihre perfekte Welt bricht zusammen. Zuerst Todesgedanken, nun also auch noch Plattfüße.

Es gibt nur eine Person, die weiß, was da los ist: die sogenannte komische Barbie (Kate McKinnon, herrlich witzig). Sie ist selbst, nachdem die Kinder in der realen Welt mit ihr zu doll gespielt, ihre Haare geschnitten und ihr Gesicht bemalt haben (manchen kommt es wohl bekannt vor), »hässlich« geworden. Und gibt zu bedenken: Wenn mit der Besitzer*in der Puppe in der eigentlichen Welt etwas nicht stimmt, wenn sie etwa traurig ist, ändert sich parallel auch etwas bei der Puppe in der Barbie-Welt. Deshalb soll die stereotype Barbie auf eine Odyssee in die echte Welt gehen, die Besitzer*in finden und deren Problem lösen, damit ihr eigenes Problem, nämlich nicht mehr schön und perfekt zu sein – sie hat mittlerweile auch Cellulite auf den früher makellosen Schenkeln! –, beseitigt wird. Die erste Begegnung der Barbie mit der Realität: Birkenstock-Sandalen!

Diejenigen, die vor allem nach »Once Upon a Time in Hollywood« (2019) oder »Babylon« (2022) nicht viel von Margot Robbie hielten, müssen nun feststellen, dass sie für die Rolle der Barbie perfekt ist. Und Ryan Gosling spielt den Strandtag-Ken – und zeigt, dass er mit seinen weißblond gefärbten Haaren ganz schön hässlich aussehen kann.

Es ist nicht selten der Fall, dass ein popkulturelles Phänomen mehr Wirkung auf das kollektive Bewusstsein einer Gesellschaft hat als etwa ein Vortrag aus einem Gender-Studies-Lehrbuch. Das weiß die Regisseurin Greta Gerwig ganz gut und setzt diese Idee nun in ihrem poppigen Film ein:

Barbie lernt das Patriarchat kennen. Kaum in der echten Welt, in Los Angeles, angekommen, schlägt ihr eine testosterongeladene Szenerie ins Gesicht. Überall aufdringliche Männer-Blicke, Männer-Sprüche, Männer-Bilder. Alles Muskeln und Bier. Statt den Frauenstatuen, die sie aus Barbie-Land kennt, sieht sie nun Köpfe von George Washington, Thomas Jefferson, Theodore Roosevelt und Abraham Lincoln in den Felsen (ein Frauenplakat gibt es übrigens auch – zu einem Schönheitswettbewerb).

Eine feine feministische Beobachtung des Alltags der Frauen in unserer Welt packt Gerwig sehr geschickt in ein paar Szenen. Szenen von Männern etwa, die in Foyers wichtiger Company-Buildings in ihren wichtigen Männerrunden Wichtiges besprechen. Und wenn eine Frau mal was zu melden hat, bekommt sie sofort, schon bevor sie den Mund aufgemacht hat, »Nicht jetzt, Nancy!« als Antwort, samt belehrendem Zeigefinger.

Barbie und Ken (ja, er ist auch mitgekommen) müssen jeweils erfahren, dass in der realen Welt Frauen automatisch gehasst, Männer automatisch gefeiert werden. Noch schlimmer: Von Mädchen, von denen Barbie dachte, dass sie, die Barbies, deren Heldinnen sind, wird sie gnadenlos beschimpft, was für ein schreckliches Frauenbild sie, die Barbies eben, mit ihren Schönheitsidealen lange den Mädchen vermittelt hätten.

Neben all der Werbung, die der Film selbstverständlich für Barbie macht, wird also auch etwas Kritik ausgeübt. Ein Besuch im Mattel-Hochhaus beispielsweise reicht, um mitzubekommen, dass die ganzen CEOs der Firma der pinken Puppe schwarzen Anzug tragende Männer sind.

Der Film hat viele kluge Ideen, die er auch sehr lustig umsetzt, aber auch viel zu viele Charaktere, die er eigentlich nicht gebraucht hätte. Die Geschichte wirkt dadurch etwas wirr. Und das, was originell und voller Überraschung begonnen hat, wird nicht ganz raffiniert, teilweise sogar kitschig beendet. Ein paar Problemchen gibt es also im Plot, doch angesichts des Genres und in Anbetracht dessen, dass wir ja in Hollywood sind, ist Greta Gerwig das Werk gelungen.

Nun, für die, die Barbie toll fanden, die sie hassten, die keine Barbie hatten, für die, die Pink lieben, die die Farbe nicht leiden können, und auch für diejenigen, die als Kind Pink erst einmal liebten, dann im Laufe ihrer Sozialisierung zu hassen lernten und sich inzwischen wieder damit versöhnt haben, für die Erste-Welle-Feminist*innen, die Zweite-Welle-Feminist*innen, die sexpositiven Feminist*innen, sogar für die »Emma«-Feminist*innen, für die Fäuste-in-der-Luft-Kämpfer*innen, für die Nicht-Feminist*innen, für die Intellektuellen, auch für die Muskel-Männer, für alle, die durch ihren Alltag nicht komplett verbittert wurden und noch ein bisschen Fantasie haben, ist in diesem Film etwas dabei.

»Barbie«: USA 2023. Regie: Greta Gerwig, Buch: Greta Gerwig, Noah Baumbach. Mit: Margot Robbie, Ryan Gosling, Will Ferrell, Michael Cera, Kate McKinnon, Issa Rae, Emma Mackey. 114 Min. Jetzt im Kino.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Dazu passende Podcast-Folgen:

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -