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Ideologiekritik und Computerspiele: Was sind das für Welten?
Videospiele sind Alltag geworden. Aber wissen wir, was wir da tun? Der Philosoph Daniel Martin Feige im Gespräch über die Kritik des Computerspiels
Computerspiele sind mittlerweile der größte Markt der Unterhaltungsindustrie. Gleichzeitig gelten sie noch immer als gesellschaftliches Nischenphänomen. Warum beschäftigen wir uns so viel und gleichzeitig so wenig mit dem Medium?
Ich denke, dass sich das in den letzten zehn Jahren stark gewandelt hat. Für die Generationen, die seit den 1980er Jahren mit dem Medium aufgewachsen sind, gehört das Computerspielen zum alltäglichen Leben. Es gibt auch Arten von Würdigung und Wertschätzungen – den deutschen Computerspielepreis etwa –, die Spiele mit anderen Künsten und Medien gleichziehen lassen. Die Nische ist am Verschwinden.
Und trotzdem scheint die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit Computerspielen weniger präsent. Im Feuilleton wird immer noch eher der neue Roman von Houellebecq besprochen und nicht »Diablo 4«.
Da bin ich nicht sicher. Natürlich haben Computerspiele noch nicht denselben Rang wie etwa Filme oder Popmusik. Aber zum einen dringen die Spiele sukzessive ins Feuilleton vor. In der »Süddeutschen Zeitung« gab es seinerzeit etwa eine lange und unaufgeregte Rezension zum neuen Teil der »Doom«-Spielereihe. Und auch in klassischen Gaming-Zeitschriften wie der »GameStar« finden sich statt reinen Consumer-Reports, also der Vorstellung der Spiele, immer mehr spielkulturelle Beiträge und Versuche der Reflexion über den Wert oder die Reichweite dieses Mediums. Auf der anderen Seite gibt es zum Gaming breite Forschung, die auch in den wissenschaftlichen Fachgesellschaften an Einfluss gewinnt – vor allen Dingen in der Medienwissenschaft, aber auch in der Soziologie. Selbst in der Philosophie, zumal in der amerikanischen, ist das Gaming im Mainstream angekommen. Auf jeden Fall gibt es eine Normalisierung des Mediums.
Braucht also einfach jedes neue Medium seine Zeit, um anzukommen?
Das sagt man ja gern auch zum Film, der anfangs als »Canned Theatre« belächelt wurde. Ich bin aber sehr skeptisch, was diese Art von vulgärer Geschichtsteleologie in der Medienentwicklung angeht. Es gibt inhärente Mechanismen des Computerspiels, die dafür gemacht sind, dass dieses Medium sehr erfolgreich wird. Diese haben aber nichts mehr mit klassischen spieltheoretischen Diskursen zu tun oder dem Pathos von Schiller, der Mensch sei »nur da ganz Mensch, wo er spielt«. Es scheint also Aspekte des Videospielens zu geben, die nicht so leicht anschlussfähig sind an klassische Kunstdiskurse, zum Beispiel. Bestimmte Aspekte des Mediums passen nicht in den Kontext der Kunst und deren Reflexionspraxis auf bestehende Strukturen und Dimensionen.
Sie haben 2015 ein Buch zur philosophischen Ästhetik des Computerspiels geschrieben. Was waren die Schwierigkeiten, sich diesem Phänomen anzunähern?
Erst einmal stand damals zur Debatte, ob Computerspiele es überhaupt wert sind, in der philosophischen Diskussion als ästhetisches Medium behandelt zu werden. Das war vor zehn Jahren, als mein Buch im Entstehen war, eine handgreifliche Schwierigkeit. Der Hauptfokus des Buchs lag also darauf, das Computerspiel als ein satisfaktionsfähiges Medium zu präsentieren. Die Agenda war damit eine verstärkende, auch im Rückblick auf die Killerspiel-Diskurse, in denen gewaltvolle Computerspiele für reale Gewalt verantwortlich gemacht wurden. Diese Debatten waren unsachlich, ermüdend und wurden dem Medium nicht gerecht.
Inhaltlich stieß ich mit dem Buch aber auf ähnliche Probleme wie bezüglich anderer Medien. Philosophisch gesprochen: Wie kriegen wir das Wesen einer Sache mit seiner Geschichtlichkeit zusammen? Denn beim Computerspiel handelt es sich um ein hochgradig ausdifferenziertes, komplexes und in Bewegung befindliches Medium – wie die Literatur, den Films, die Malerei, eigentlich alle ästhetischen Medien. Daraus ergibt sich generell die Frage der Einteilung oder Systematisierung von Medien und Künsten, weil man sich bei allen fragen kann, was deren definierende Bedingungen sind und ob es da so etwas wie einen Kern, eine Wesensbestimmung, gibt. Definitionen des Computerspiels, dass es interaktiv sei und die Reaktionen in die Entwicklung des Mediums eingingen, sind auf den zweiten Blick weniger informativ als man denkt, wenn man sich die Ausdifferenziertheit des Mediums anschaut. Die Bandbreite reicht von sogenannten Interacted Movies, wo man eigentlich nur ab und zu einen Knopf drückt, damit die Handlung weiterläuft, bis zu offenen Spielewelten, in denen man die Arbeitsstrukturen der Wirklichkeit in Spielform wiederholt.
Eigentlich war es ein Buch zur Frage: »Was ist ein Medium?« Das habe ich für Computerspiele durchdekliniert und deswegen habe ich diese sehr ausufernden Überlegungen an den Anfang gestellt, die zugegeben einige Leser verprellt haben, die schmissige Videospielanalysen erwartet haben. Es sollte eine dialektische, immanente Kritik von bestehenden Ansätzen in der Videospieleforschung sein. Heute müsste ich das nicht noch einmal so schreiben.
Auch wenn Computerspiele im medialen Mainstream angekommen sind, würde ich trotzdem sagen, die Kritik am Medium ist es noch nicht.
In gewisser Weise hat sich die Macht des Faktischen durchgesetzt: Es ist für alle ersichtlich, dass das Videospiel eine wesentliche Größe in der gesellschaftlichen Reproduktion geworden ist. In diesem Bereich der Kulturindustrie kann richtig Geld verdient werden, mehr als etwa mit der Ausbeutung von Popstars auf Spotify. Ich bin kein ökonomischer Reduktionist – sonst würde ich nicht in der Ästhetik arbeiten –, aber dieser Aspekt ist etwas, was heute klarerweise kritisch diskutiert werden müsste.
Natürlich wird in der Games-Kultur auch Kritik geübt. Es gab große Kontroversen um Frauenbilder oder auch Gewalt in Games. Das sind aber Perspektiven, die ich, ehrlich gesagt, nicht grundlegend genug finde. Man kann rassistische, sexistische, klassistische Videospiele als solche brandmarken, aber man muss trotzdem sehr genau hinschauen, ob das Spiel selbst wirklich so dumm ist, wie die Diskurse es manchmal darstellen. Die Kritik darf nicht auf einer Zitatebene verbleiben, dass da ein Frauenbild auftaucht und das Spiel deswegen sexistisch sei, sondern man kann sich anschauen, ob dieses Spiel sich dazu gebrochen verhält. Die Kritik geht manchmal auch schief in solchen Empörungswellen.
Mein Eindruck ist, dass die Auseinandersetzung mit Computerspielen zerfällt. Einerseits gibt es eine sehr lebendige Community der Games-Studies, also eigentlich sozialwissenschaftliche Ausdifferenzierungen mit einem recht deskriptiven Zugang. Andererseits fehlt die gesellschaftstheoretische Analyse, die dann eher in den von Ihnen genannten Empörungswellen nachgeholt wird.
Ich würde sagen, das ist das übliche Social-Media-Gewitter, bei dem ich nicht sicher bin, ob das noch was mit emanzipatorischen Fragen zu tun hat. In den Games-Studies gibt es natürlich eine Parzellierung, die in Klein-Klein-Perspektiven zu einzelnen Genres oder Spielereihen zerfällt. Dazu kommen philosophische Beiträge, die eine breitere Kritik versuchen. Aber ich würde eben auch sagen, dass eine sozialtheoretisch-kritische Perspektive vielleicht zu schnell mit den Waffen zur Hand ist – auch in den Games-Studies. Da fehlt mir manchmal eine Auseinandersetzung mit dem Kritikbegriff selbst, was der eigentlich soll, wie die Kritik funktioniert oder wo man überhaupt ansetzt. Ich glaube, nur einen einzelnen Aspekt wie das Frauenbild aufzuspießen, reicht nicht. Und es reicht auch nicht zu sagen, dass alle Spiele politisch sind. Das ist trivial. Da können wir auch über meine Bekleidung reden.
Wie könnte denn eine Ideologiekritik von Computerspielen aussehen?
Ideologiekritik fängt für mich da an, wo etwas eine Praxis ist, die in Wahrheit etwas anderes ist und zu der wesentlich gehört, dass sie nicht selbst durchsichtig sein kann. Dafür würde ich erst einmal ganz profan bei den ökonomischen Strukturen gesellschaftlicher Reproduktion ansetzen, also den Interessen, die in den Spielen stecken. Dazu gehört – und das ist aus einer Game-Studies-Perspektive eher ein Affront –, dass man fragt, warum bestimmte Spiele so gebaut sind, dass sie Spieler*innen auf eine Weise binden, die wir gesellschaftlich problematisch finden können. Ich denke an Spiele wie »World of Warcraft«, ein online Mehrspieler-Rollenspiel, das seit 2004 mehrere Kontroversen über Abhängigkeiten auslöste. Das Spiel besteht eigentlich aus den immer gleichen Aufgaben, dem Sammeln von Materialien und immer besseren Gegenständen. Das könnte ein ziemlich gutes Beispiel für ein ideologisches Verhalten sein.
Also Sucht- beziehungsweise Abhängig-
keitsmechanismen?
Ja. Ich habe um diese Art von Spielen immer einen großen Bogen gemacht. Ich weiß genau, man kann Jahre darin versinken – aber ohne dass ich eine ähnliche Erfahrung habe, als würde ich dieselbe Zeit in eine bestimmte Schubert-Einspielung am Klavier stecken. Die Spielmechanik besteht häufig aus leeren Tätigkeiten und Slot-Machine-Logiken. Heute wird das durch weitere Arten von Kundenbindung ergänzt, indem man in Spielen immer neuen Inhalt nachliefert oder tatsächlich ganz profane Suchtmechaniken in diese Spielen einbaut.
Gleichzeitig glaube ich, man sollte mit dem Vorwurf der Spielsucht vorsichtig sein. Warum führt man diesen Diskurs ausgerechnet über dieses Medium? Wir würden ja nicht von Filmen oder Musik behaupten, dass sie abhängig machen, oder von »Mensch ärgere dich nicht« oder »Monopoly«. Es geht also um bestimmte Aspekte dieses Mediums, die so ausgeschlachtet werden können, dass sie Suchtmechanismen erzeugen. Diese richtig in den Blick zu bekommen, ohne es gleich als das Wesen des Spiels zu begreifen, das wäre die erste, sehr basale Ebene einer Kritik.
Ja, es ist mindestens bemerkenswert, dass die Massenfaszination bei vielen Spielen davon ausgeht, dass sie die leeren Tätigkeiten des Arbeitsalltags auf andere Weise bloß wiederholen.
Vielleicht ist das gar nicht so verwunderlich, wenn wir uns die Kulturindustrie ansehen. Frei nach Adorno: So wie ein Film immer schon ein bisschen wie der Trailer zum nächsten Film aussieht, sind die Spiele oft nur die Wiederkehr bekannter Mechanismen und Strukturen in neuem Design und besserer Grafik – das immer Gleiche und die Verlängerung einer Waren- und Arbeitsform in die Freizeit. Und das wäre für mich auch die zweite Dimension, um ideologiekritisch auf das Medium zu schauen: Diese Tätigkeitsformen im Spiel sehen erstaunlicherweise gar nicht so anders aus als das, was wir heute in Form der Gamification und der Selbstoptimierung auch im Arbeitsumfeld haben. Die Bewegung geht in zwei Richtungen. Einerseits werden Arbeitsmechanismen im Spiel fortgeschrieben, andererseits werden Belohnungsspiralen und Punktesysteme auch in reale Tätigkeiten integriert, bis hin zum Social-Credit-System. Diese Gamification ist ein hochgradig problematisches Phänomen und hat überhaupt nichts mit didaktischer Erleichterung oder spielerischem Umgang zu tun, sondern mit einer neuen Struktur der Selbstoptimierung der beteiligten Subjekte in Arbeitsverhältnissen.
Ideologiekritik müsste also die Strukturen der Wirklichkeit im Spiel aufzeigen?
Ja, das gibt es zwei Aspekte, die ich für wichtig halte. Erstens die ökonomischen, gesellschaftlichen Strukturen, die hinter dem Spiel stehen und die sich dann, zweitens, in das Spiel verlängern. Und ich würde noch einen dritten Aspekt nennen. Denn es gibt natürlich auf der Ebene des Spiels selbst ideologische Strukturen, die sich aber nicht darin erschöpfen, dass da etwa eine Frau in Unterwäsche rumläuft. Man muss sich ein Spiel im Gesamten anschauen und wie diese problematische Strukturen reproduzieren – in der Art und Weise, was sie da tun, wie sie in ihrem Spielgeschehen gemacht sind. Ästhetisch fängt das schon bei dem Phänomen des »Reskin« an, also der grafisch überarbeiteten Neuauflage eines Spiels, die vermittelt, dass alles im Grunde das Gleiche und fungibel ist.
Selbst Spiele, die behaupten etwas anderes zu tun, machen dies meist nicht. Es gibt Spiele, die suggerieren durch ihre Themen eine Art von seriöser Auseinandersetzung, lösen dies aber nicht ein. Ein Beispiel wäre der erste Reboot der Tomb-Raider-Reihe. »Tomb Raider« war in den 1990ern ein wegweisendes Action-Adventure um die Archäologin Lara Croft, das Kletter- und Sprungmechaniken mit Kämpfen und Rätseln verband. In der Wiederaufnahme der erfolgreichen Serie im Jahr 2013 suggerierte das Spiel, nun eine Art Entwicklungsroman zu sein. Lara Croft strandet als junge Frau auf einer Insel, ihr Vater ist gestorben, es gibt – sehr drastisch – eine angedeutete Vergewaltigung am Anfang. Das Spiel will die Metafrage von Gewalt behandeln, aber der tatsächliche Umgang damit ist lächerlich – nach ein, zwei Zwischensequenzen knallt sie einen männlichen Gegner nach dem anderen über den Haufen. Vielleicht lässt sich daraus eine interessante Gender-Grammatik deuten, aber dem Selbstanspruch des Spiels von Tiefe und gehaltvoller Auseinandersetzung wird das nicht gerecht. Also ich sage das mal so zugespitzt: Wenn ein Videospiel sehr große Themen aufs Tablett legt, ist das meistens katastrophal banal. Wie man als Jazzmusiker sagen würde: Shut up and play.
Was die inhaltliche Ebene betrifft, denke ich an das Spiel »Assassin’s Creed: Valhalla«, ein historisch an die Wikingerzeit angelehntes Action-Rollenspiel. Ich war schockiert von der Selbstverständlichkeit von Ehre, Gewalt und Blut-und-Boden-Ideologie. Das Spiel ist nicht trotz, sondern wegen dieser Szenerie massenerfolgreich. Sitze ich damit einer zu voreiligen Kritik auf?
Also mir wäre dabei folgender Punkt wichtig: Man kann das kritisieren und das ist auch nicht unwichtig. Aber ich finde – als Ästhetiker –, dass die Gegenstände mit dem Anspruch auftreten, mehr zu sein als bloße Verdeutlichung eines Diskurses. Es sind Gegenstände, die ernst genommen werden wollen. Man kann sich fragen, inwiefern dieser Anspruch scheitert und das Spiel etwas sein möchte, das es am Ende nicht ist und doch nur braune Grammatik reproduziert. Aber Spiele dadurch zu kritisieren, dass man überall politische Strukturen entdeckt, das finde ich einfach trivial. Natürlich braucht es diese Hinweise, denn wenn wir uns die Gaming-Community ehrlicherweise anschauen, besteht diese zu großen Teilen und in bestimmten Kontexten immer noch aus Männern, die rumbrüllen, dass sie gerade nur ein Spiel spielen und Politik doch bitte rauszuhalten sei. Da muss man darauf hinweisen, dass diese Position einfach Bullshit ist, Ende. Aber damit fangen für mich die Fragen erst an. Wo gelingt vielleicht ein Spiel doch mal in seiner Ausstellung, die nicht einfach nur eine Exemplifikation von diesen Strukturen ist, sondern eine Art von Verdrehung oder Unterbrechung? Bei relativ vielen Spielen besteht zwischen der problematischen Narration und dem Spielgeschehen zumindest eine Spannung. Über ein einzelnes Motiv kann man nicht erschließen, ob ein Spiel nun gut oder böse ist. Interessant ist doch, zu entdecken, wie diese Spannung zustande kommt. Gibt es vielleicht strukturell in dem Gegenstand etwas zu entdecken?
Welche Rolle spielt die Nostalgie? Ein großer Zweig der Gaming-Industrie besteht ja aus Neuauflagen alter Titel, ähnlich wie im Film. Es scheint ein Moment zu sein, das viele Leute fasziniert, aber eigentlich Regression befördert: Wir kehren auf eine frühere Stufe unserer Entwicklung zurück und erleben noch einmal die Spiele von damals.
Ich bin mir gar nicht so sicher, was den Nostalgiebegriff angeht. Nostalgie kann auch etwas anderes sein als nur Regression. Die Neuauflagen sind in erster Linie Verkaufsargumente, Remakes sind einfach funktionierende Marken. Davon muss dann noch das Retrogaming unterschieden werden. Ich spiele zum Beispiel sehr viel alte Spiele und würde sagen, wenn ich das tue, ist das nicht nur Nostalgie, sondern die Spiele sind einfach gut. Manche Spiele sind von 1986, aber die Steuerung des Sprungs fühlt sich unglaublich gut an, die Punkteanzeige sieht super aus, das Sounddesign funktioniert. Retrogaming ist sozusagen das Entdecken ästhetischer Werte in Dingen, die heute am Leben erhalten, aber nicht in der Blockbuster-Logik hochgehalten werden. Dass diese Spiele trotzdem der Regression dienen können, trifft so auch auf die Fernsehserien der 1980er Jahre zu oder die Musik der 1970er.
Um die Spiele herum hat sich mittlerweile eine Kultur des »Let’s Play« entwickelt, also Videos, bei denen man anderen beim Spielen zuschaut. Diese Formate erreichen ein Massenpublikum und die Streamer sind zum Teil Stars. Diese Faszination erkläre ich mir schon mit Regression: Es ist, wie damals bei einem Kumpel auf der Couch zu sitzen und ihm zuzuschauen, während er einem dabei die Welt erklärt. Und was in diesen stundenlangen Videos erzählt wird, ist zum Teil unterirdisch.
Ich sage jetzt mal ein bisschen polemisch: Solche Freunde möchte man auch einfach nicht haben (lacht). Aber natürlich trifft das einen Punkt. Die Ideologiefrage betrifft nicht nur die Menschen, die das Spiel direkt spielen, sondern auch die Distribution, die sich vom Games-Journalismus zu Plattformen wie Youtube und Twitch ausgeweitet hat. Hier findet sich eine Vermengung mit der Influencer-Kultur, die ideologiekritisch beleuchtet gehört.
Gibt es denn emanzipatorische Spiele? Was wären Beispiele oder sogar Kriterien dafür?
Das ist natürlich eine sehr schwierige Frage. Es gibt sogenannte Serious-Games, also Spiele mit einem klaren Lernziel, wie zum Beispiel den Titel »Through the Darkest of Times«, der im Widerstandskampf während des Nationalsozialismus spielt. Solche Spiele haben eine Berechtigung als pädagogische Medien in einer Gesellschaft, die mit dem Medium Computerspiel eher aufgewachsen ist als mit einem klassischen Spielfilm oder dem Buch. Aber ich finde diese Spiele auf eine andere Weise auch nicht besonders interessant. Der Inhalt ist hier kaum vermittelt mit der Form, sondern die Form selbst steht im Dienst der Vermittlung des Inhalts.
Ich würde demgegenüber die These vertreten: Emanzipatorisch sind solche Spiele, die ihr eigenes Sein als Spiel thematisieren und in bestimmter Weise Unterbrechungen mit hineintragen, sodass sie nicht einfach nur eine Reproduktion der Mechanismen der Arbeitswelt sind. Das wären Spiele, die das, was sie thematisieren, in der Art und Weise nur in der Form des Spiels thematisieren können. Ich denke da an Titel wie den Rollenspielklassiker »Planescape: Torment« von 1999 oder auch jüngere Rollenspiele wie »Disco Elysium«, in dem man die psychischen Instanzen eines Ermittlers in einem dystopischen Polit-Szenario spielt. Hier werden Form und Inhalt nicht einfach zur Deckung gebracht, sondern es entstehen interessante Spannungen zwischen diesen beiden Seiten.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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