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Krebsmedikamente: Die große Verschwendung
Die Herstellung von Krebsarzneien sorgt für hohe Zusatzgewinne bei bestimmten Apotheken
Zytostatika könnte man auch Zellgifte nennen: Sie stören, verzögern oder verhindern den normalen Zyklus von Zellen – so können sie auch unterbinden, dass sich Tumorzellen teilen und verbreiten. Als Arzneistoffe werden sie vor allem bei der Chemotherapie benutzt, um Krebserkrankungen einzudämmen. Auf jeden Fall sind Zytostatika toxisch, sie bewirken in Zellen unter anderem DNA-Schäden. Besonders wirksam sind sie bei sich schnell teilenden und wachsenden Zellen.
Sogenannte Zytostatika-Apotheken, das sind in Deutschland knapp 300 von insgesamt fast 18 000 öffentlichen Apotheken, haben sich darauf spezialisiert, sterile Infusionslösungen in einer je Patient individuellen Dosierung anzufertigen, und zwar in eigenen Reinräumen und nach ärztlichen Vorgaben. Diese Pharmazeuten werden vom Verband der Zytostatika herstellenden Apothekerinnen und Apotheker (VZA) vertreten.
Nun geriet die Zytostatika-Herstellung im Juli in die Schlagzeilen. Ein Apotheker aus dem sächsischen Vogtland hatte sich an die Medien gewandt und darauf hingewiesen, dass er eigentlich einige 10 000 Euro im Jahr zu viel verdiene. Dazu legte er Preislisten und andere Dokumente vor.
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Einer der Beispielfälle war nach Berichten von WDR und weiteren Medien der monoklonale Antikörper Bevacizumab. Demnach kosten 1500 Milligramm davon den Apotheker 900 Euro, von der Krankenkasse erstattet werden 2000 Euro, für die Herstellung kann der Apotheker einen Arbeitspreis von 100 Euro abrechnen. Das gilt für je ein Rezept. Diese damit sehr wertvollen Dokumente würden deshalb teils schon von Onkologen »angeboten«, bis zu 20 000 Euro monatlich würden von Vertretern der Arztgruppe dafür verlangt. Der sächsische Apotheker kam auch zu der Schlussfolgerung, dass manche Zyto-Apotheken pro Jahr ein Plus von mehreren Millionen Euro machten.
Für die Infusionsbeutel mit Krebsmedikamenten hätten die Krankenkassen 2022 mehr als fünf Milliarden Euro ausgegeben, etwa zehn Prozent ihrer gesamten Arzneimittelausgaben, rechnete die »Süddeutsche« vor. Davon hätte sich mindestens eine halbe Milliarde Euro einsparen lassen. Die mutmaßliche Verschwendung in dieser Höhe laufe seit 2009. Seitdem unterliegen die Preise für Fertigarzneimittel in parenteralen Zubereitungen nicht mehr dem sonst einheitlichen Abgabepreis. Parenterale Zubereitungen sind allgemein Medikamente (oder auch Nährlösungen), die unter Umgehung des Magen-Darm-Traktes per Infusion oder Injektion gegeben werden. Seit 2009 können nun Apotheker mit den Herstellern der in den Zubereitungen verwendeten Wirkstoffe Rabatte aushandeln.
Das gilt für alle nicht-preisgebundenen Waren, die in Zubereitungen verarbeitet werden und betrifft auch einfachere und preiswerte Endprodukte wie zum Beispiel Salben. Wirtschaftlich am relevantesten sind die parenteralen Zubereitungen, zu denen sowohl die Zytostatika gehören, als auch Lösungen mit monoklonalen Antikörpern, die davon eigentlich unterschieden werden müssen. Die Antikörper sind gezielt gegen ein Merkmal der Tumorzellen gerichtet. Zytostatika greifen allgemein schnell wachsende Zellen mit hoher Teilungsrate an. Beide Begriffe wurden in den aktuellen Medien-Recherchen teils synonym verwendet.
Im Rahmen ihrer Untersuchung konnten die Redaktionen öffentlich nicht bekannte Preislisten von Großhändlern einsehen. Diese reichten sie an sämtliche gesetzliche Krankenkassen weiter, die nun Konsequenzen fordern. Nach Berechnungen der Reporter ergaben die fünf umsatzstärksten Wirkstoffe, die im Rahmen von Chemotherapien verabreicht werden und die nicht mehr patentgeschützt sind, schon ein mögliches Einsparpotenzial von 420 Millionen Euro für das Jahr 2022. Für das Jahr zuvor hätte dieses sogar bei 550 Millionen Euro gelegen, damals gaben die Krankenkassen für die fünf Präparate insgesamt 850 Millionen Euro im ambulanten Bereich aus.
Von den Kassen gibt es nun verschiedene Forderungen, wie dieser Preispolitik begegnet werden sollte. Der AOK-Bundesverband verlangt etwa die gesetzliche Wiedereinführung von regionalen Ausschreibungen. Die IKK Brandenburg und Berlin wiederum möchte die Apotheken gesetzlich zu Transparenz unter anderem über ihre Einkaufspreise verpflichten.
Die Apotheker halten inzwischen dagegen. Auf dem Portal apotheke-adhoc sprach ein Zyto-Apotheker von einer Gewinnmarge von unter fünf Prozent und verwies auf die Haftungsrisiken: Bruch oder Verfall der Medikamente, auch der Tod von Privatpatienten – in derartigen Fällen könnten die Apotheken unter Umständen auf den Kosten sitzen bleiben. Zudem müssten die Apotheker etwa eine halbe Million Euro für den Reinraum vorfinanzieren.
Als Alternative zum bisherigen Vorgehen wird ein Kommissionsmodell vorgeschlagen, bei dem die Apotheken nur eine Herstellungspauschale erhalten. Die Kassen müssten dann die Preise direkt mit den Wirkstoffherstellern verhandeln, die Apotheke bekommt alle nötigen Bestandteile und Wirkstoffe auf Kommission geliefert. Eine ähnliche Idee hat offenbar die Techniker Krankenkasse, die schon länger fordert, dass bei den Zytostatika Rabattverträge der Kassen mit der Industrie möglich sein sollten.
Auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sieht die hohen Gewinne bei Zytostatika als einen unhaltbaren Zustand. Er wolle das Problem regulatorisch angehen. Ebenfalls für »absolut ungerechtfertigt« hält die Gewinnmargen Wolf-Dieter Ludwig. Der Vorsitzende der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft und Onkologe ist schon lange ein Kritiker der Preispolitik der Hersteller in diesem Bereich.
Einen Skandal um eine Zyto-Apotheke hatte es bereits 2016 gegeben. Dem damaligen Inhaber der Alten Apotheke in Bottrop wurde die Unterdosierung von Krebsmedikamenten nachgewiesen, was sich aus einer Gegenüberstellung von Rezepten und Einkaufsbelegen ergab. Der Apotheker wurde im Juli 2018 wegen Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz und Betruges zu zwölf Jahren Haft verurteilt. Gegen ihn wurde auch ein lebenslanges Berufsverbot verhängt. In der Folge hatten mindestens die Hälfte der Zyto-Apotheken in Nordrhein-Westfalen eine Selbstverpflichtung zu Qualitätsstandards und Vier-Augen-Prinzip in der Herstellung abgegeben.
Onkologika insgesamt, also alle Medikamente zur Krebsbekämpfung, sind seit mehreren Jahren die umsatzstärkste Arzneimittelgruppe in Deutschland. 2020 verursachten sie 9,5 Milliarden Euro Nettokosten insgesamt, wie der Arzneimittel-Kompass des AOK-Instituts Wido 2021 konstatierte. Als Ursache dafür wurden die sehr hohen Preise genannt, die von Herstellern für neuartige Wirkstoffe verlangt werden. Auch hier zeigt sich aus Sicht der Krankenkassen eine spezielle Transparenzlücke: Die Kosten für Forschung und Entwicklung neuer Wirkstoffe, die von den Herstellern häufig als Begründung für die hohen Preise genannt werden, sind offenbar in der Realität deutlich niedriger als angegeben. Das führt dazu, dass Onkologika Erträge generieren, die eben deutlich höher sind als die F&E-Kosten. Zum Nachteil für die Patienten kommt hinzu, dass zwischen dem klinischen Nutzen der Mittel und den Behandlungskosten leider kein Zusammenhang besteht: Extrem teuer heißt hier nicht unbedingt hochwirksam.
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