Berliner Habersaathstraße: Securitys zerstören Türen und Möbel

Die Mieter*innen des umkämpften Hauses in der Habersaathstraße 40–48 vermuten einen Einschüchterungsversuch

Wer braucht schon Fenster? Diese hier wurden am Mittwoch aus einer Wohnung in der Habersaathstraße ausgebaut.
Wer braucht schon Fenster? Diese hier wurden am Mittwoch aus einer Wohnung in der Habersaathstraße ausgebaut.

Absurde Szenen in Mitte: Herausgenommene Fenster stehen vor dem Haus, Security-Mitarbeiter*innen versperren Hauseingänge. Ratlos sitzen Bewohner*innen auf dem Gehweg oder schauen aus ihren Fenstern ins Leere, weil sie ihre Wohnungen nicht verlassen wollen. Eine Mieterin versucht die Haustür aufzuschließen, aber erfolglos. »Sie haben das Schloss ausgetauscht, ich komme nicht in meine Wohnung«, sagt sie. Eine andere Bewohnerin zeigt die völlig verwüstete Wohnung eines Freundes: die Fenster herausgerissen, die Tür gewaltsam aufgebrochen, ein zerschlagenes Waschbecken im Bad, demolierte Möbel im Wohnzimmer. Im und vor dem umkämpften Haus in der Habersaathstraße 40–48 war am Mittwochvormittag einiges los, was sich die Bewohner*innen kaum erklären können.

»Wir haben um 9 Uhr einen Zettel bekommen, dass wir um 10 Uhr hier rausmüssen. Wie soll das denn gehen?«, sagt einer der Habersaath-Bewohner*innen, der vor dem Haus sitzt. Er ist sichtlich wütend. »Die sagen, wir seien hier illegal drin, aber das stimmt nicht. Ich war damals mit beim Bezirksamt und habe den Zettel in die Hand gedrückt bekommen, dass ich legal hier sein darf.« Der Bewohner sei morgens von Sicherheitspersonal und Bauarbeiter*innen, die mit Hämmern vor der Tür standen, aus seiner Wohnung geschickt worden, sagt er. Dann hätten sie mit der Arbeit begonnen. »Da stehen alle meine Fenster«, sagt der Bewohner und zeigt auf einige an der Wand lehnende ausgebaute Fenster. »Da steh’n sie gut, oder?«

Daniel Diekman ist Vertreter der Langzeitmieter*innen im Haus und zeigt »nd« den Zettel, den die Bewohner*innen am Morgen vor ihren Türen vorgefunden haben, datiert auf den 9. August, also ebendiesen Mittwoch. »Derzeit werden von Ihnen Räumlichkeiten in dem oben genannten Objekt genutzt. Hierfür besteht keine Rechtsgrundlage«, so steht es dort. Weiter heißt es, dass jegliche eventuell bestehenden Nutzungsverhältnisse fristlos und mit sofortiger Wirkung gekündigt würden. »Wir fordern Sie auf, das Objekt umgehend zu räumen.« Wenn dies nicht bis um 10 Uhr desselben Tages passiere, würden Warmwasser, Heizung und Strom abgeschaltet.

»Die Securitys haben die Türen von Wohnungen aufgebrochen. Eigentlich wollte ein Eigentümer-Vertreter herkommen mit einem richterlichen Beschluss, aber das ist nicht passiert«, sagt Diekmann zu »nd«. Er selbst habe am Morgen seine Wohnung nicht betreten können, weil das Sicherheitspersonal ihn davon abgehalten habe. Und das, obwohl Diekmann als Langzeitmieter einen gültigen Mietvertrag hat. Die Räumungsklagen gegen ihn und ein Dutzend weitere Mieter*innen würden aktuell noch vor Gericht verhandelt; am 17. August sei der nächste entsprechende Termin. »Das kann ich nur als einen Einschüchterungsversuch im Zusammenhang mit dem Gerichtsprozess interpretieren.«

Etwas später gelingt es Diekmann und anderen Bewohner*innen mit Vermittlung durch einen anwesenden Polizeibeamten, ihr Wohnhaus zu betreten und nach dem Rechten zu sehen. Seine eigene Wohnung wurde offenkundig nicht aufgebrochen, allerdings wurden bei ihm, wie anscheinend im ganzen Haus, Strom und Warmwasser abgestellt. Und in allen drei Aufgängen zu den Wohnungen, die von den Langzeitmieter*innen und der Initiative Leerstand-Hab-Ich-Saath bewohnt werden, wurde das Haustürschloss ausgetauscht.

»Wie soll ich denn so in meine Wohnung kommen? Ich bin auf lebenswichtige Medikamente angewiesen«, sagt Diekmann. Die Polizei beschwichtigt, man werde schon die neuen Schlüssel ausgehändigt bekommen. Als die Security gegen Mittag allerdings unvermittelt das Feld räumt, stehen die Mieter*innen weiterhin ohne Schlüssel da und wissen nicht, wie sie die Situation lösen sollen.

»Wir haben den Auftrag vom Eigentümer erhalten, den Leuten klarzumachen, dass sie rausmüssen«, hatte ein Security-Mitarbeiter zuvor noch gegenüber »nd« geäußert. Das betreffe aber nicht alle Bewohner*innen, man habe eine Liste erhalten mit Namen von Menschen, die weiterhin bleiben dürften.

»Es ist unmöglich, wie der Eigentümer versucht, die letzten Mieter*innen brachial hier rauszuholen«, sagt Ario Mirzaie, Sprecher für Soziale Räume der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus, zu »nd«. Er ist vor Ort, um als Abgeordneter die Vorgänge in der Habersaathstraße parlamentarisch zu beobachten und die Bewohner*innen zu unterstützen. »Hier vor einem Gerichtsbeschluss mit Security und Bauarbeitern Fakten schaffen zu wollen, geht gar nicht, das ist rechtswidrig.«

Die Bewohner*innen hatten seit dem Morgen versucht, Verantwortliche des Bezirksamtes Mitte zu erreichen. Gegen 12.30 Uhr, als Sicherheitspersonal und Handerwerker*innen bereits von dannen gezogen sind, taucht Sozialstadtrat Carsten Spallek (CDU) in der Habersaathstraße auf, um die Situation zu begutachten. »Hier sind Dinge geschehen, die nicht mit dem Bezirksamt abgestimmt waren. Deshalb bin ich vor Ort, um mir ein Bild zu machen«, sagt er. Man müsse schauen, ob an diesem Vormittag nach Wohnaufsichtsrecht unzulässige Handlungen durchgeführt worden seien. »Wohnungen unbewohnbar machen, das geht nicht.«

Vor Ort sind außerdem zahlreiche Unterstützer*innen der Bewohner*innen des Hauses, die gegen eine Räumung der Habersaathstraße 40–48 kämpfen. Das sind die verbliebenen Langzeitmierter*innen, die Initiative Leerstand-Hab-Ich-Saath und die ehemals obdachlosen Menschen, die viele der leer stehenden Wohnungen vor gut anderthalb Jahren besetzt haben und seitdem dort wohnen. Die Eigentümer-Firma Arcadia Estate möchte das gesamte Objekt abreißen, um dort neu zu bauen. Die Abrissgenehmigung ist allerdings Ende Juli abgelaufen. Dem »nd« ist bislang nicht bekannt, ob der Bezirk die Genehmigung verlängern wird. Auch eine Anfrage an Arcadia Estates zu den Vorgängen blieb bis Redaktionsschluss unbeantwortet.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -