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Peter Hacks: Ein Dichter, kein Zeitgenosse
Vier Lektüreempfehlungen zum 20. Todestag des sozialistischen Klassikers Peter Hacks
Auf ins Paradies!
Manchmal wünscht sogar Gott sich ein Gegenüber. Aber wer kann das sein? Nicht der Engel Gabriel jedenfalls, der beflissen lobt, auch wo er die Werke des Herrn nicht versteht. Allmächtig und allwissend zu sein, macht einsam und ist langweilig. So schafft Gott eine neue Welt, zum ersten Mal nicht aus Geist, sondern aus Stoff gebaut: die Erde. (Gabriel schüttelt insgeheim den Kopf.) Auf die Erde setzt er das Paradies und in das Paradies Adam und Eva, die frei mit eigenem Willen sein sollen. Ihre Freiheit soll sich zeigen, indem sie den verbotenen Apfel nicht essen, obwohl sie es könnten. Der Fortgang ist vorhersehbar. Die Schlange – bei Hacks Tarnung des gefallenen Engels Satanael – verführt Eva zum Apfelbiss. Adam tut es der Geliebten nach. Gott vertreibt das Paar aus dem Paradies, und so sitzen wir, die Nachkommen, heute noch draußen.
Herrschaftskritik würde Gott als sadistischen Tyrannen zeigen: der den Apfel als Verlockung hinhängt, um dann einen willkommenen Vorwand fürs Strafen zu haben. Der Marxist Hacks wählt einen anderen Zugang. Er nimmt das biblische Motiv des Sündenfalls ernst, denn – wie er im Begleitessay zu seinem Drama »Adam und Eva« schreibt – es »birst von Dialektik«.
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Allmacht braucht eine Gegenmacht, ist also nicht Allmacht. Freiheit gibt es nur, wenn Handlungen Konsequenzen haben – Konsequenzen schränken Freiheit ein. Ein vollkommener Zustand (das Paradies) ist entwicklungslos; wenn ihm aber etwas fehlt, ist er nicht vollkommen. Also kann sich Vollkommenheit nur in der Entwicklung auf sich selbst hin zeigen. Die Vertreibung aus dem Paradies erst ermöglicht es, sich um das Bessere zu bemühen. Dem Anschein entgegen ist der Verlust zugleich der Gewinn.
Das klingt komplizierter, als es sich liest oder auf der Bühne ansieht. Die Dramenform ist klassisch schlank: drei Akte mit einem Vorspiel, die fünf Personen des französischen Klassizismus (Gott als die Ganzheit; das Engelpaar Gabriel und Satanael als das je Beschränkte; das Menschenpaar Adam und Eva). Die Gattungsbezeichnung lautet Komödie; entsprechend heiter ist die Stimmung. Im Entstehungsjahr 1972 konnte Hacks den mythisch-biblischen Beginn der Menschheitsgeschichte als Beginn des Fortschritts gestalten. Später wurde er skeptischer, wir sind es wohl heute auch. Dennoch lohnt der Rückgriff auf ein Drama, das, von Gott ausgehend, beim Potenzial des Menschlichen endet.
Kai Köhler
Marx in jeder Zeile
Sätze für die Ewigkeit finden sich in Peter Hacks’ »Maßgaben der Kunst«, der Sammlung seiner kulturtheoretischen Schriften, zuhauf. Zum Beispiel dieser über Goethe: »Er beendete die Beziehung zu Christiane, indem er sie heiratete …« Ein Halbsatz bloß, der in seiner Lakonie schon die Grundzüge des ganzen Hacks’schen Werks enthält.
Wer in zeitgenössischen Kategorien denkt, mag meinen, das Heiraten intensiviere die »Beziehung«. Bei Hacks, der wusste, dass »Beziehung« ein der gesellschaftlichen Misere angemessenes Wort für Formen verwahrloster serieller Monogamie ist, wird sie dadurch beendet. Verheiratete haben keine »Beziehung« mehr, sondern verschmelzen miteinander.
Die Bewertung überlässt Hacks dem Leser: Er kann hier ein Lob der Ehe wie die Trauer über die verlorene jugendliche Ungebundenheit der Liebe ausmachen. Die mehr als 1000-seitigen »Maßgaben« sind voll mit im wahrsten Sinne des Wortes unerhörter, von Vernunft wie Abgeklärtheit, von Leidenschaft fürs Beste wie Demut vor der Größe der Klassiker funkelnder Sentenzen.
Mit der »Schönen Wirtschaft« enthalten die »Maßgaben« ein von der offiziellen Marxologie bis heute ignoriertes Werk, das die Ökonomie des Marxismus einmal tatsächlich erweitert – indem es sie auf das Gebiet der Künste ausweitet, dabei von Marx ableitet und weiterforscht, ohne von ihm abzukehren oder ihn gar zu revidieren. Es zeigt, dass erst der dogmatischste, also vollständig begriffene Marxismus es erlaubt, mit diesem spielerisch leicht und erneuernd umzugehen: In jeder Zeile hier ist Marx anwesend, aber nirgends wird er zum Abgott; vor die Entscheidung gestellt, Marx zu zitieren oder auf marxistischer Grundlage selbst zu denken, wählt Hacks die letztere Option.
Will man in Zukunft eine Menschheit mit Kunstverstand, wird sie um dieses Werk nicht herumkommen. Nicht unwahrscheinlich außerdem, dass sich einmal auch Parteiprogramme, Revolutionen und Republiken auf es berufen werden.
Marlon Grohn
Kluger Bärenspaß
Eine der abenteuerlichsten Kindergeschichten aller Zeiten stammt von Peter Hacks. »Der Bär auf dem Försterball« wird nicht nur von Kindern geliebt, sondern – wie vielfach bewiesen – auch von den Eltern, die sich zum Vorlesen verpflichten. Es beginnt wie viele schöne Abenteuer mit einem gepflegten Alkoholexzess: eine Wahrheit, die man Kindern nicht verschweigen muss.
Der Bär stellt sich ein paar Kübel besten Bärenschnapses rein, die Wirkung lässt nicht auf sich warten, er schwankt in bester Laune durch den Wald. Bärenschnaps, so verrät uns die Erzählung, wird aus Wodka, Honig und schwierigen Gewürzen gebraut. Doch was sind schwierige Gewürze? Seltene Gewürze kennt man, schwierig zu erwerbende, scharfe und süße, doch schwierige? Es bleibt so rätselhaft wie die gesamte Erzählung. Doch bekanntlich steigern solche kleinen Rätselspielchen das literarische Vergnügen.
Und es geht rätselhaft weiter. Der Bär will zum Maskenball, landet aber bei den Förstern, die ihn für den Oberförster halten, mit dem sie Bären jagen wollen. Mit nur wenigen gewitzten Formulierungen lässt Hacks tief in die Abgründe uniformierter Männerbünde schauen, die sich an der Aussicht auf die Gewalttat berauschen (wären sie doch nur beim Bärenschnaps geblieben).
Das kann man, »Der Bär auf dem Försterball« wurde Mitte der 50er Jahre erstmals im Westdeutschen Rundfunk ausgestrahlt, als Kommentar zu Adenauers Wiederbewaffnungsbestrebungen der Bundesrepublik begreifen. Es ist aber, und darin besteht der poetische Wert, von überzeitlicher Bedeutung. Ganz abgesehen davon, dass die deutsche Militarisierung auch heute wieder an Aufschwung gewinnt. Man wünscht sich nichts mehr als eine große Bärin, die – wie am Ende der Erzählung – ein paar kräftige Nackenbisse zwecks politischer Ernüchterung verteilt.
»Der Bär auf dem Försterball«, erstmals in der BRD gedruckt und seitdem in zahlreichen illustrierten Ausgaben erschienen, hat alles, was große Literatur – nicht nur für Kinder! – braucht: Witz, Fantasie und eine schier unendliche Fülle an Deutungsmöglichkeiten. Und einen hohen Grad an Realismus. Wer davon nicht genug bekommen kann, wird bei Hacks noch mehr finden – von »Armer Ritter« über »Leberecht am schiefen Fenster« bis »Meta Morfoss«. Kinder und Eltern aller Länder, vereinigt euch, lest Hacks!
Jakob Hayner
Lust auf Oliven
Es soll eine Zeit gegeben haben, in der hatte die Lyrik ihren Wert. In jener Zeit lasen sich Verse durchaus anders. Nicht weil die Zeiten immer so viel angenehmer waren. Aber die Verse waren angenehmer. Es waren die Tage, in denen man Poeme noch nicht durch den Entzug von spürbarer Form und von begreifbarem Inhalt befreit hatte. Damals war es mitunter ein Ausweis von Qualität, wenn Gedichte auch gesungen werden konnten.
Einer der letzten Verseschmiede alter Art war Peter Hacks. Seine »Lieder zu Stücken« seien zur Erbauung anempfohlen. Sie verraten, dass es im vergangenen Jahrhundert noch möglich war, frei von falschem Pathos, formvollendete Gedichte zu schreiben. Sie lassen erahnen, dass auch die Dramatik einmal auf einem anderen literarischen Niveau gestanden haben muss. Dass die Bühnen im Land den verkannten Klassiker in ihren Spielplänen in der Regel unberücksichtigt lassen, mag der Blick in »Lieder zu Stücken« (oder das Anhören der Schallplatte) etwas leichter verschmerzen lassen.
Bei Hacks muss die Form nicht unter der Klugheit der Gedanken leiden; auch das Formbewusstsein geht nie zu Lasten des Inhalts. Seine Meisterschaft besteht aber in dem fast allgegenwärtigen heiteren Tonfall, der ein Gutteil des Lesevergnügens ausmacht. Von den Liedern aus der auf Geheiß Brechts besorgten John-Millington-Synge-Bearbeitung »Der Held der westlichen Welt« über die Songs aus »Polly« bis zu den Arien aus »Omphale« – Hacks lässt die Furien tanzen (»Dieses Lied hat viele Strophen; / Denn wir wollen weiterschwofen.«) und verkündet »Rentners Abendlied« (»Glücklicher Wandrer, dein Berg ist erstiegen. / Wende den Blick nun ins schimmernde Tal.«). Die vielleicht schönsten Verse stammen aber aus Hacks’ Fassung des aristophanischen »Friedens«: »Die Oliven gedeihn« heißt das Lied, nicht zuletzt durch Manfred Krug in Begleitung der Jazzoptimisten populär gemacht. »Wir würzen den Wein / Mit Zimt und Salbei, / Die Oliven gedeihn, / Der Krieg ist vorbei.« Nun heißt es warten, auf den Frieden und Hacksens Renaissance.
Erik Zielke
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