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Alternativer Nobelpreis: Leben retten, Natur bewahren
Jeder von uns hat die Macht, Veränderungen zu schaffen, sagt Stiftungsdirektor Ole von Uexkull
Das Mittelmeer, das Vorderasien, Nordafrika und Südeuropa verbindet, ist ein großes Grab. Niemand kennt die genaue Zahl, viele Tote bleiben namenlos. Nach den offiziellen Statistiken, die längst nicht alle Schiffbrüche registrieren können, sind in den vergangenen zehn Jahren fast 30 000 Flüchtlinge und Migranten bei dem Versuch ums Leben gekommen, mit häufig seeuntauglichen Booten von Afrikas Mittelmeeranrainern auf der gefährlichen Route nach Europa zu gelangen. Die humanitäre Krise hat auch damit zu tun, dass es an sicheren und legalen Möglichkeiten zur Einwanderung in die EU-Staaten fehlt.
Während die EU und ihre Küstenstaaten die Rettung von Menschenleben in den vergangenen Jahren immer stärker der Abwehr und Abschreckung irregulärer Migration untergeordnet haben, setzt die 2015 als deutsch-französisches Kooperationsprojekt gegründete Nichtregierungsorganisation SOS Méditerranée weiter jene Prioritäten, die die Menschlichkeit gebietet. Und wie sie auch in der Genfer Flüchtlingskonvention international vereinbart oder in anderen völkerrechtlichen Normen verbindlich verankert sind.
Weil die politischen Anführer in der EU dabei versagt haben, das massenhafte Sterben zu verhindern, setzt das europäische Netzwerk aus eigener Initiative die jedem Kapitän obliegende Pflicht zur Seenotrettung auf dem zentralen Mittelmeer aktiv um. Den Anfang machte SOS Méditerranée, das seinen Sitz in der französischen Hafenmetropole Marseille hat, 2016 mit der »Aquarius«. Drei Jahre später folgte das Rettungsschiff »Ocean Viking«. Die Crews und medizinischen Teams der NGO, die außer in Frankreich und Deutschland auch in der Schweiz und Italien vertreten ist, brachten nach ihren Angaben seit Beginn der Such- und Rettungseinsätze mehr als 36 000 Menschen auf dem Meer in Sicherheit. Dabei kooperiert SOS Méditerranée mit der privaten Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen.
Teller und Rand ist der nd.Podcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.
Mit ihrer Hilfe für Flüchtlinge in Seenot macht sich die NGO nicht nur Freunde. Aus dem rechten Spektrum wird Rettungsorganisationen wie SOS Méditerranée die Schuld daran zugeschoben, dass Schlepper weiter Geschäfte mit Bootsflüchtlingen machen können. Eine Argumentation, die Ursachen von Flucht und Migration bewusst ausblendet. Aktuell kritisiert die postfaschistische Regierung in Rom die deutsche scharf wegen der finanziellen Förderung von Projekten zur Seenotrettung. In Italien und Frankreich wird die Arbeit solcher NGO immer stärker behindert.
Recht auf sichere Abtreibung – Eunice Brookman-Amissah steht in Ghana in der ersten Reihe
Einsatz lohnt sich. Am 28. September findet inzwischen jährlich der Globale Aktionstag für den Zugang zu sicheren und legalen Schwangerschaftsabbrüchen statt. Einer Person, der dieses Anliegen ganz besonders am Herzen liegt, wurde just am 28. September als eine von vier Preisträger*innen mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet: die ghanaische Frauenrechtsaktivistin Eunice Brookman-Amissah. »Ich bin dankbar, dass der Preis das Bewusstsein für das Problem der unsicheren Abtreibungen schärfen wird, das auch im 21. Jahrhundert ein umstrittenes Thema bleibt«, reagierte die Ärztin auf ihre Auszeichnung.
Brookman-Amissah ist die erste Alternative Nobelpreisträgerin aus Ghana überhaupt. Das Thema der unsicheren Abtreibungen ist in den Ländern südlich der Sahara von kaum zu überschätzender Bedeutung. Jedes Jahr werden 6,2 Millionen unsichere Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen. Es ist die gefährlichste Region der Welt, was den Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen angeht: 92 Prozent der Frauen leben in Ländern, in denen die Abtreibung eingeschränkt ist.
Brookman-Amissah, die ihre Karriere als Ärztin begann, war zunächst gegen Abtreibungen. Als sie jedoch erfuhr, dass eine ihrer Patientinnen an den Folgen einer unsicheren Abtreibung gestorben war, konzentrierte sie sich darauf, für den Zugang zu sicheren Abtreibungen einzutreten. Ihr Einsatz hat dazu beigetragen, dass die Zahl der Todesfälle im Zusammenhang mit Schwangerschaftsabbrüchen in Afrika südlich der Sahara seit 2000 um 40 Prozent zurückgegangen ist. Sie hat als Ärztin und Aktivistin gesellschaftliche Debatten angestoßen und den Weg für liberale Abtreibungsgesetze in mehreren afrikanischen Ländern geebnet.
Als Brookman-Amissah ihre Arbeit aufnahm, war der Begriff Abtreibung tabu. Dennoch setzte sie sich unermüdlich für dieses Thema ein, um Frauen zu stärken, ihre Autonomie zu fördern, ihre Gesundheit zu verbessern und letztlich ein Umfeld zu schaffen, in dem sie sich persönlich und beruflich entfalten können.
Unter dem linksautoritären Präsidenten Jerry John Rawlings wurde sie 1996 Gesundheitsministerin. Sie nutzte ihre Amtszeit, um maßgebliche Reformen im Gesundheitssektor voranzutreiben. Eine davon war die Gründung des Ghana Health Service, einer Gesundheitsbehörde, die den Zugang zu Gesundheit dezentral bis hin zu den lokalen Distrikten organisiert – einschließlich des Zugangs zu Abtreibungen.
Blei ist ein gefährliches Gift – Aktivistin Phyllis Omido steht in Kenia für Umweltschutz ein
Sie wird »Erin Brockovich von Ostafrika« bezeichnet: die kenianische Umweltaktivistin Phyllis Omido. Der Vergleich kommt nicht von ungefähr: Erin Brockovich war als Rechtsanwaltsgehilfin 1996 maßgeblich an einem Verfahren gegen das Unternehmen Pacific Gas and Electric beteiligt, um erfolgreich für eine Wiedergutmachung der Trinkwasserverseuchung in Hinkley in Kalifornien zu streiten. Omido kämpft für die Gerechtigkeit und die Gesundheit der Owino-Uhuru-Gemeinde, die unter Bleivergiftungen leidet, seit eine Batterieschmelzanlage in ihrem Dorf in Betrieb genommen wurde. Ihr Einsatz für Rechtsstreitigkeiten, Fürsprache und Medienarbeit hat wichtige rechtliche Präzedenzfälle geschaffen, die das Recht der Menschen auf eine saubere und gesunde Umwelt und die Verantwortung des Staates für deren Schutz bekräftigen.
Dank Omidos Engagement wurden in ganz Kenia 17 Giftmülldeponien geschlossen. Doch bei allen Erfolgen, es gibt noch viel zu tun, was Omidos Reaktion auf die Preisverleihung belegt: »Es ist eine Zeit, in der sich die Gemeinden niedergeschlagen fühlen … Dieser Preis wird ihnen Hoffnung geben, dass ihr Kampf nicht nur auf sie beschränkt ist, sondern dass es sich um einen globalen Kampf handelt.«
Omdio arbeitete einst selbst in der Batterieschmelzanlage, die sie, ihren Sohn und Tausende von Mitgliedern der Gemeinde Owino Uhuru vergiftete. Als sich die Eigentümer des Werks und die Regierungsbeamten weigerten, auf den von ihr erstellten Umweltverträglichkeitsbericht zu reagieren, mobilisierte Omido die Gemeinde zum Protest. Nach einer Demonstration im Jahr 2012 wurde Omido von zwei Männern in ihrem Haus angegriffen und unter dem unbegründeten Vorwurf des Terrorismus und der Anstiftung zur Gewalt verhaftet.
Sie hat ihre Erfahrungen auch genutzt, um die Vereinten Nationen zu konsultieren, was zu einer Resolution über das Recycling von Blei-Säure-Batterien in Afrika führte. Das Wissen über Umweltrechte zu verbreiten, ist ihr ein großes Anliegen. Sie hat das Zentrum für Gerechtigkeit, Regierungsführung und Umweltschutz in der kenianischen Hafenstadt Mombasa gegründet und ein Netzwerk von 120 Land- und Umweltverteidigern (LEDs) in Kenia, Uganda und Tansania aufgebaut, die andere dazu befähigen und anleiten, ihre Gemeinden zu schützen. 2015 erhielt sie für ihr Engagement den renommierten Goldman-Umweltpreis.
Hoffnung für künftige Generationen – Mother Nature Cambodia kämpft gegen Raubbau und Korruption
»Für ihren unerschrockenen und erfolgreichen Umweltaktivismus trotz massiv eingeschränkter zivilgesellschaftlicher Handlungsspielräume in Kambodscha« erhält Mother Nature Cambodia einen der Alternativen Nobelpreise 2023. Die wichtigste Umweltrechtsorganisation in dem südasiatischen Land setzt sich seit rund zehn Jahren »an vorderster Front«, wie das Komitee schreibt, für die Erhaltung der Umwelt, der Menschenrechte und der Demokratie ein. Engagiert sind hier vor allem Jugendliche, die in ihre innovativen Aktivitäten lokale Gemeinschaften einbeziehen, deren Lebensgrundlagen in Gefahr sind.
Die Aktivisten riskieren bei ihrem Widerstand gegen Raubbau einiges. Zerstörerische Rohstoff- und Entwicklungsprojekte bedrohen nicht nur die Umwelt, sondern sind auch mit massiver Korruption verbunden. Der Protest kommt daher auch staatlichen Stellen in die Quere, die hier die Hand aufhalten. Kambodschas zunehmend autokratisches Regime geht auch deshalb immer härter gegen zivilgesellschaftliches Engagement vor. Dutzende Aktivisten von Mother Nature Cambodia wurden seit 2015 festgenommen, elf von ihnen länger inhaftiert. Der Gründer Alejandro González-Davidson musste das Land verlassen. Aber auch lokale Gemeindemitglieder, die mit der NGO zusammenarbeiten, sind Einschüchterungen, juristischen Schikanen und polizeilicher Überwachung ausgesetzt.
Dennoch: Durch Social-Media-Aktionen sowie die Schulung und Mobilisierung junger Kambodschaner hat die NGO »wesentlich dazu beigetragen, zahlreiche Umweltverstöße im Land aufzudecken und zu beenden«, wie die Stiftung Right Livelihood mitteilt. So wurde der Bau eines Wasserkraftwerks im Areng-Tal gestoppt, das eine indigene Gemeinschaft bedrohte. Das gilt auch für den Sandabbau samt illegalem Export aus der Provinz Koh Kong, der lokale Fischgründe und das Ökosystem bedrohte.
Solche Erfolge geben der Organisation Kraft, trotz der ständigen Bedrohung mit großem Engagement weiterzuarbeiten. Right Livelihood nennt Mother Nature Cambodia sogar einen »Leuchtturm der Hoffnung für künftige Generationen« in dem Land. Denn in ihrem Kampf geht es den Aktivisten nicht nur um Umweltschutz,sondern auch um Demokratie und Menschenrechte. Die NGO gibt auch den von zerstörerischen Rohstoffprojekten betroffenen lokalen Gemeinschaften eine Stimme, die in Kambodscha keine Lobby haben.
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