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Yanis Varoufakis: Der Mythos lebt
Yanis Varoufakis war in Berlin zur Premiere eines Dokumentarfilms, der ihn selbst zum Thema hat
Seit Wochen ist der Kinosaal ausverkauft. »Babylon« heißt das altgediente Berliner Lichtspielhaus, gleich ums Eck vom Karl-Liebknecht-Haus, nebenan die »Volksbühne«, die einst für aufregendes, rebellisches Theater stand. »In the Eye of the Storm«, heißt der Dokumentarfilm aus Großbritannien, Untertitel: »The Political Odyssey of Yanis Varoufakis«. 85 Minuten sind zu sehen, knapp anderthalb Stunden also, das sind aber nur Teil 1 und Teil 4 der insgesamt sechsteiligen Varoufakis-Serie des jungen Filmemachers Raoul Martinez.
Wer ist Varoufakis? Ein blendender Selbstdarsteller auf alle Fälle. Seinen weltweiten Ruhm begründete die kurze aufregende Zeit als Finanzminister Griechenlands im Jahre 2015, vom 27. Januar bis zum 6. Juli. Seitdem lebt und blüht der Mythos Varoufakis, er ist ein Held der Linken. Messerscharf sind seine Analysen, unerbittlich klingt seine Kapitalismuskritik, hochgestochen sein ökonomischer Sachverstand.
Im ersten Teil der Dokumentation erzählt der 62-jährige Star über seine Eltern und seine Jugend. »Ich wuchs in einem faschistischen Land auf«, sagt er. Als das Militär in Griechenland putschte, war Varoufakis sechs Jahre alt. Sein Elternhaus ist politisch, sein Vater vier Jahre als Studentenführer interniert, seine Mutter spricht ihrem Sohn ausschließlich über Politik.
In Teil 4, der anschließend gezeigt wird, gibt es einen Crashkurs im Fach Ökonomie mit dem Spezialgebiet Finanzmarkt-Kapitalismus. Wer Varoufakis’ Bücher kennt, wird halbwegs folgen können. Andere werden womöglich überfordert sein von der Flut an Informationen und Fachbegriffen. Montiert ist das Ganze kraftvoll und poetisch mit einer Chronologie zeitgeschichtlicher Hintergründe.
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Nach der Filmvorführung gibt sich der Welterklärer eine Stunde auf der Bühne die Ehre, beredt wie wenige. Der gegenwärtige Status der Linken sei »tragisch«, sagt er, »wir sind besiegt«. Aber trotzdem: »Wir geben nicht auf, wir machen weiter.«
Der Wahlkampf für die Europawahlen im kommenden Juni hat begonnen. Varoufakis’ paneuropäische, also transnationale Graswurzelbewegung Mera 25 spielt eine Rolle am Rande, überall bangt sie um parlamentarische Sitze. Selbst der griechische Ableger ist mittlerweile aus dem Parlament geflogen. »Wir machen die Revolution«, lacht Varoufakis mit dem Galgenhumor eines Verlierers. Die Pandemie ist vorbei, freut er sich, »und wir sitzen wieder zusammen in einem Raum und diskutieren«. Was könne es Schöneres geben.
»Deutschland ist runtergewirtschaftet«, sagt er dann. 15 Jahre lang unter der Regierung Merkel wurde nicht investiert, »alle Technologie kommt aus China«. Europa befinde sich im »intellektuellen Selbstmord«, die Sparpolitik, also »der Klassenkampf gegen die Armen«, wie er verdeutlicht, bestimme die Politik. Und die USA und China investierten entschlossen in die Zukunft, betrieben opulente Schuldenpolitik.
Niemanden gebe es derzeit in Europa, der den Staatenbund im Ganzen repräsentiere, Europa sei »in jeder Hinsicht bankrott«. Seine größte Angst aber sei der aufkommende Faschismus in Europa. Die »Komödie der Irrungen« werde heutzutage von führenden Politikern weiterbetrieben, die Unzufriedenheit der Massen wachse. Für Faschisten eine wahre Goldgrube: Rassismus, Antisemitismus – und die herrschende Politik mache weiter wie gehabt.
Die Nachrichtenwebsite »Business Insider« adelte den Ökonomen einaml als »interessantesten Mann der Welt«. In diesem Lichte sonnt sich Varoufakis gern. Es ist schwer, diesem Denker, Selbstdarsteller, Rhetoriker etwas zu entgegnen. Aber seine Überzeugungskraft erreicht nur eine kleine Minderheit.
Ökonomie sei keine Wissenschaft, argumentiert er im Film, sondern eine Ideologie, die als Waffe eingesetzt werde, um die Mächtigen zu verteidigen. »Entweder wir überwinden den Kapitalismus – oder wir sterben.« Sätze, wie für Parolen gemacht. Der herrschenden Realpolitik sind Varoufakis’ Erkenntnisse bis heute kaum eine Reaktion wert. Wolfgang Schäuble etwa oder Angela Merkel lehnten eine Beteiligung an dieser Dokumentation ab. Ein Armutszeugnis.
»In the Eye of the Storm. The Political Odyssee of Yanis Varoufakis«, Großbritannien 2023. Regie: Raoul Martinez. 85 Min. Nur auf Englisch. Streaming auf Vimeo für 18,99 €.
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