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Eigenbedarf in Berlin: Klassenkampf ums Wohnen
Betroffene von Eigenbedarfskündigungen organisieren sich
»Wir sind bedroht, unser Zuhause zu verlieren, weil andere Leute mehr Geld haben als wir. Weil andere Leute ihre finanziellen Mittel einsetzen, um die Stadt aufzukaufen. Dagegen setzen wir uns ein.« Vi von der Initiative »Eigenbedarf kennt keine Kündigung« (E3K) hält eine wütende Rede auf einer Kundgebung am Donnerstag in Charlottenburg. Wie am Namen zu erkennen ist, geht es um Eigenbedarfskündigungen – also Kündigungen, weil der Vermieter die Wohnung selbst nutzen will.
Es ist ein emotionales Thema. Denn auch wenn Wohnungen wie eine Ware behandelt werden, geht es für die Menschen, die in ihnen wohnen, um viel mehr. Das kann auch Reinhard Gutsche bestätigen. »Das war existenziell bedrohlich«, erzählt der 61-Jährige Moabiter dem »nd«. Bei ihm kam viel zusammen. Neuer Job, eine schwere Krankheit und dann auch noch die Androhung, aus der Wohnung zu fliegen. »Ich war teilweise gerne arbeiten, weil ich das mit der Wohnung dann vergessen konnte.« Ganze 22 Monate dauerte die Tortur, mit Gerichtsprozess und allem Drum und Dran. September 2023 ging er zu E3K. Am Ende konnte er in seiner Wohnung bleiben.
Gutsche ist auf der Kundgebung, weil er zeigen will, dass sich Widerstand lohnt. Viele Menschen hier in Berlin seien zu ängstlich, sich zu wehren. »Deswegen machen wir das hier, damit die Leute das sehen.« Denn: »Es sind nicht nur einzelne Betroffene, sondern viele.«
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Wie viele genau, lässt sich schwer ermitteln. Von den Gerichten wird nicht erfasst, wie viele Eigenbedarfsklagen in Berlin pro Jahr geführt werden. Der Berliner Mieterverein aber berichtet von mehr als 5000 Beratungsanfragen wegen des Themas. Und die Zahl dürfte nicht kleiner werden. Zwischen 2011 und 2020 wurden in der Hauptstadt 124 421 Mietwohnungen in Eigentumswohnungen umgewandelt. Nur bei ihnen sind Eigenbedarfskündigungen möglich. Profitabel vor allem für die Verkäufer*innen dieser Wohnungen: Einzeln verkauft lässt sich mit den Wohnungen eines Hauses wesentlich mehr Geld machen.
Seit Mitte 2021 gilt die sogenannte »Umwandlungsbremse«. Wenn der Wohnungsmarkt angespannt ist, kann die Landesregierung die Umwandlung verhindern. Das Problem ist damit aber nicht behoben. Auch wenn jetzt weniger Wohnungen Eigentumswohnungen werden, droht in den nächsten Jahren, wenn die von Berlin festgelegte zehnjährige Kündigungssperrfrist ab Umwandlung für viele Wohnungen ausläuft, eine Eigenbedarfskündigungswelle.
Für die Mieter*inneninitiative E3K ist das nicht zu rechtfertigen. »Aktuell kauft man sich mit einem Wohnungskauf das Recht, jemanden auf die Straße zu setzen«, meint Erich, ein Redner von E3K. Leute hätten ein Problem mit der Wohnungsnot und würden das einfach weitergeben. Die finanziellen Mittel machen den Unterschied.
Erich weist auf ein weiteres Problem hin. Über den Umweg des Eigenbedarfs können Wohnungen entmietet werden. »Es gibt Vermieter, die wegen Eigenbedarf kündigen, um widerständige Mieter*innen rauszuklagen. Und wenn die Wohnung frei ist, ist der Eigenbedarf gar nicht mehr da.« Aber nicht nur Vermieter*innen profitieren von der Situation. Jede Klage braucht einen Anwalt, der sie führt. Spezialisierte Kanzleien wie die, vor der am Donnerstag protestiert wurde, würden unbotmäßigen Druck auf Mieter*innen aufbauen, meint Erich
Von Gerichten und Politik erwarten sich die Redner*innen wenig. Verzagen wollen sie aber nicht. »Wir sehen, dass niemand ist, der uns unterstützt. Deswegen müssen wir uns gegenseitig helfen.«
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