Queeres Kino: Der Himmel voller Lamberts

Selbstreflexion in hohem Normbereich: Lothar Lamberts »Vornerum, hintenrum«

Könnte auch Lothar Lamberts Motto sein, stammt aber aus dem Trailer für »Kein Film unter dieser Nummer«, seinem nicht fertiggestellten Film über ein Telefonsexunternehmen.
Könnte auch Lothar Lamberts Motto sein, stammt aber aus dem Trailer für »Kein Film unter dieser Nummer«, seinem nicht fertiggestellten Film über ein Telefonsexunternehmen.

»Wenn ich sonntags in mein Kino geh’/ und den Himmel voller Geigen seh’,/ träum’ ich noch am Montag früh:/ Einmal leben, so wie die,/ doch zu so was kommt man nie.« Doch, kommt man, wenn man die Filme selbst dreht wie Lothar Lambert. Er ist Deutschlands letzter Fassbinder und feiert am Sonntagnachmittag im Berliner Bundesplatzkino die Premiere seines 42. Films seit 1971, fast alle selbst finanziert. Dieses Jahr wurde der Untergrundfilmer 80 Jahre alt und bekam auf der Berlinale den Special Teddy für sein queeres Lebenswerk.

Lamberts »Himmel voller Geigen«, von dem Willy Fritsch schon 1932 sang, spielte stets im Menschlichen, Allzumenschlichen, es ging meist um Obsessionen, Einsamkeit und Begierden. Der alte deutsche Film, in dem Willy Fritsch solche Lieder zum Besten gab, läuft in Berlin in den Eva-Lichtspielen, deren Besucher Lambert hier vorstellt. Eine Frau schwärmt davon, diese Filme hätten noch einen Witz, über den man lachen könne, das sei bei den neuen Filmen kaum noch möglich.

Was bei Lambert stets möglich ist: sehr unterhaltsame Selbstreflexion. Sein neuer Film ist ein halbdokumentarischer Episodenfilm, zusammengebaut aus »Einaktern«, wie Lambert diese Fragmente nennt: Aus abgebrochenen Filmprojekten hat er einen neuen Film gefertigt und dafür teilweise auch Material aus seinen alten Filmen neu montiert, ähnlich wie ein Schriftsteller Fragmente, Werkstattberichte oder Kurzgeschichten zu einem kurzweiligen Buch komponiert. »Denkt immer daran: es ist nicht wie im echten Leben«, ermahnt eine Regisseurin in einem dieser unfertigen Lambert-Filme namens »Burlesque geht immer, oder?« ihre Schauspieler, »es ist künstlich, es ist Theater. Die Bewegungen, die euch künstlich vorkommen, sehen im Film ganz natürlich aus!«

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Lambert hat das alles wieder sehr charmant gestaltet und diesen Film »Vornerum, hintenrum« genannt. Das bezieht sich einerseits auf »Oben rum, unten rum«, seinen ersten »Einakter«-Film aus dem Jahr 2019, andererseits auf seine Wohnung in Berlin-Schöneberg, die man hier zu sehen bekommt. Sie hat einen Vorder- und einen Hintereingang, was Lambert früher wichtig war, da er lange befürchtete, dass man ihn in seiner Wohnung überfallen würde, um ihn für seine als »schmutzig« empfundenen Filme zu strafen. Durch den Hintereingang hätte er dann flüchten können, glaubt er.

Allgemein bestehe er aus lauter Ängsten – nehme man diese weg, bleibe wenig von seiner Identität übrig, so wird er in einem psychiatrischen Gutachten zitiert, in dem ihm eine »geschätzte Intelligenz in hohem Normbereich« attestiert wird. Es spielte eine Rolle, als er sich nicht von seiner Vermieterin aus seiner Wohnung klagen lassen wollte. Sie meldete Eigenbedarf an, für ihre Tochter und deren Freund. Er könnte sich freuen, dass er Platz machen sollte für zwei besondere Menschen, »eine Künstlerin und einen Pädagogen«, ließ sie ihre Anwälte erklären. Sei das nicht auch in seinem Sinne? Aus diesem bizarren Schriftwechsel trägt die Schauspielerin Claudia Jakobshagen vor. Zum Glück scheiterte die Vermieterin, eine SPD-Lokalpolitikerin aus Westdeutschland.

Des Weiteren besucht Lambert Harry Baer, den alten Freund und Assistenten von Fassbinder. Früher wohnte Baer bei Lambert um die Ecke. Nun zeigt er auf seinen kleinen Balkon, das sei mehr »ein Austritt«, aber doch der »schönste Balkon weit und breit«. Dafür ist seine Wohnung ziemlich groß, alles selbst gemacht, wie er betont; so selbst gemacht wie die Lambert-Filme, könnte man ergänzen. Baer habe mit der Filmerei abgeschlossen, sagt er – nachdem er in seinen letzten drei Filmen eine Leiche spielen musste. Lambert aber macht weiter wie alle großen Meister, er kann nicht anders.

»Vornerum, hintenrum. Lamberts gesammelte Einakter Vol. 2«, Deutschland 2023/24. Regie: Lothar Lambert. 71 Min. Premiere am Sonntag, 8.9., 15.30 Uhr im Bundesplatz-Kino, Berlin.

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