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Aufrüstung macht arm
Warum die EU-Kriegswirtschaft Wohlstand vernichtet
In Deutschland wird die Schuldenbremse zugunsten von Rüstungsausgaben gelockert, der Bundesrat stimmte am Freitag einer entsprechenden Grundgesetzänderung zu. Dadurch werden laut Schätzungen in den kommenden zwölf Jahren zusätzliche Schulden über 750 Milliarden Euro für Rüstung aufgenommen. Aber nicht nur Deutschland, auch die EU genehmigt ihren Mitgliedstaaten weitere Milliardenkredite für Militärausgaben. Um der Bevölkerung diesen Militarismus schmackhaft zu machen, wird er nicht nur mit der vermeintlich notwendigen »Kriegstüchtigkeit« begründet. Die Aufrüstung soll vielmehr auch als ökonomischer Wachstumsmotor verkauft werden – als Mittel zur Schaffung von Arbeitsplätzen, Innovation und Wohlstand. Dazu eignen sich Rüstungsausgaben allerdings denkbar schlecht.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat angekündigt, die europäischen Neuverschuldungsgrenzen exklusiv für Rüstungsausgaben zu lockern. Zusätzlich soll ein geplantes Paket 150 Milliarden Euro für Aufrüstung zur Verfügung stellen. Insgesamt, so von der Leyen, könnten so weitere 800 Milliarden Euro für Militärgerät mobilisiert werden. Gleichzeitig plant die Kommission, den Rüstungseinkauf zentral zu steuern und mit einer »Buy European«-Klausel sicherzustellen, dass europäische Waffenkonzerne profitieren.
Waffen statt Klimarettung
Das ist eine bemerkenswerte Kehrtwende. Noch vor wenigen Jahren hatte von der Leyen eine andere Vision für die wirtschaftliche Zukunft der EU: Der Green Deal sollte Europas »Man-on-the moon«-Moment sein, ein Projekt für grünes Wachstum und eine zivil-technologische Transformation. Jetzt stehen also statt Klimainvestitionen Waffensysteme im Zentrum der EU-Wirtschaftspolitik. Die Europäische Investitionsbank – einst als »Klimabank« gefeiert – soll Militärprojekte finanzieren. Schuldenregeln werden nicht etwa für Klimaschutz, sondern für Rüstungskredite gelockert. Manfred Weber, CSU-Politiker und Chef der konservativen Europäischen Volkspartei, spricht offen von einer angestrebten »Kriegswirtschaft«.
Dieser neue Militär-Keynesianismus wird mit optimistischen Wachstumsprognosen untermauert. Das Institut für Weltwirtschaft (IfW) errechnet, dass eine Erhöhung der Militärausgaben auf 3,5 Prozent des europäischen Bruttoinlandsprodukts (BIP) das Wirtschaftswachstum um bis zu 1,5 Prozent steigern könnte. IfW-Präsident Moritz Schularick forderte daraufhin: »Aufrüsten für den Wohlstand.« Diese Logik macht die EU mit der Reform ihrer Schuldenregeln nun endgültig zum offiziellen Wirtschaftsprogramm – doch die versprochene Wohlstandssteigerung wird daraus nicht folgen. Ganz im Gegenteil: Die Militarisierung vertieft die wirtschaftliche Spaltung Europas, steigert die soziale Ungleichheit und verschärft bestehende Krisen.
Ein zentrales Problem der propagierten Wachstumshoffnungen liegt in der Kennzahl, auf die sich Politiker und Ökonomen berufen, das Bruttoinlandsprodukt. Diese Messgröße erfasst zwar die gesamtwirtschaftliche Aktivität eines Wirtschaftsraums, doch sie verschleiert die zentrale Frage: Wer eignet sich den geschaffenen Reichtum an?
In einem kapitalistischen Produktionssystem entscheidet nicht das reine Wirtschaftswachstum, sondern die Verteilung des Mehrwerts, wer profitiert. So stieg das EU-BIP nach der Corona-Pandemie und der Energiekrise infolge des Ukrainekriegs etwa kontinuierlich an, während die EU-weiten Reallöhne sanken und Energiekonzerne Rekordprofite einfuhren.
Gutes Leben oder Wirtschaftswachstum?
Entscheidend für Wohlstandssteigerungen ist nicht das reine BIP-Wachstum, sondern ob Investitionen zur Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen beitragen. Das ist etwa der Fall, wenn sie die Grundkosten des Lebens senken. Investitionen in erneuerbare Energien beispielsweise fördern die ökologische Nachhaltigkeit, senken Energiepreise langfristig und steigern so die Kaufkraft der breiten Bevölkerung.
Militärausgaben hingegen sind keine produktiven Investitionen. Zwar können staatliche Militäraufträge das BIP aufblähen, doch sie schaffen keine gesellschaftlich nutzbare Wertschöpfung. Rüstungsgüter werden nicht konsumiert oder zur Erhöhung der gesellschaftlichen Produktivkraft genutzt, außer man würde anfangen Panzer im öffentlichen Nahverkehr einzusetzen. Vielmehr verursachen sie gesellschaftliche Folgekosten, indem sie teuer gewartet, modernisiert und im schlimmsten Falle eingesetzt werden, was noch viel mehr Wohlstand zerstört.
Entscheidend ist, ob Investitionen zur Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen beitragen.
Vom Aufrüstungsboom profitieren also nicht die Lohnabhängigen. Explosionsartige Aktiengewinne von Rheinmetall oder Thales zeigen, wer sich wirklich über Aufrüstung freuen darf: Rüstungskonzerne und ihre Großinvestoren. Auf Jahressicht hat der europäische Aktienindex Stoxx 600 rund zehn Prozent gewonnen, der Index der europäischen Rüstungskonzerne dagegen fast 50 Prozent.
Daran ändert auch die Schaffung neuer Arbeitsplätze nichts, mit der ebenso für Militarisierung geworben wird. Eine Studie von der Unternehmensberatung EY rechnet etwa mit über 600 000 neuen Jobs durch Rüstungsaufträge in der EU. Doch das ist weniger beeindruckend, wenn man es mit dem vergleicht, was stattdessen möglich wäre: Studien zeigen, dass Investitionen in Klima, Bildung oder Gesundheit pro eingesetzten Euro zwei- bis dreimal so viele Arbeitsplätze schaffen wie Rüstungsausgaben. Militarisierung ist also kein Jobmotor, sondern eine Bremse.
Militär – längst nicht so innovativ wie angenommen
Das Gleiche gilt für den Bereich Forschung und Entwicklung: Zwar brachte die militärische Forschung zuweilen Innovationen hervor, die auch im nicht-militärischen Bereich nutzbar sind, doch wären diese Mittel in der zivilen Forschung wesentlich effizienter eingesetzt. Experten gehen davon aus, dass bahnbrechende Innovationen heutzutage kaum noch aus der militärischen Forschung zu erwarten sind. Vielmehr findet Technologietransfer schon lange hauptsächlich von der zivilen in die militärische Sphäre statt.
Noch gravierender sind die Auswirkungen der Bindung realwirtschaftlicher Ressourcen durch die Aufrüstung. Wie der Ökonom Lukas Scholle treffend beschreibt: »Eine begrenzte Anzahl von Ingenieuren baut mit einer begrenzten Menge Stahl Panzer statt Züge.« Die Folge: Klima-, Bildungs- oder Infrastrukturprojekte, die viel wohlstandsmehrender wären, verteuern sich oder scheitern ganz, weil es an Arbeitskräften und/oder Materialien fehlt.
Unter bestimmten Umständen könnte dies sogar breitere inflationäre Effekte verursachen, welche vor allem für untere Einkommensschichten mit höheren Konsumquoten katastrophal sind. Während Forderungen nach Schulden für den Klimaschutz oder soziale Projekte von neoliberalen Ökonomen regelmäßig als Inflationsrisiken verteufelt werden, trifft dies auf massive Rüstungsausgaben erstaunlicherweise nicht zu.
Die europäische Aufrüstung verschärft jedoch nicht nur soziale Ungleichheit innerhalb von Mitgliedsstaaten, sondern auch die wirtschaftliche Kluft zwischen ihnen. Da ein Großteil der europäischen Rüstungsindustrie in Europas Zentrum, insbesondere im Westen Deutschlands und in Frankreich, angesiedelt ist, fließen die Gewinne vor allem an dortige Rüstungskonzerne und wohlhabende Anleger, die in die Industrie investiert sind.
Südeuropäische Mitgliedsstaaten, die unter Druck stehen, ihre Militärausgaben zu erhöhen, müssen Waffen hingegen importieren, da sie über keine nennenswerte Rüstungsindustrie verfügen. Während Deutschland und Frankreich von wachsenden Rüstungsexporten profitieren, müssten Staaten wie Portugal oder Griechenland ihre Handelsbilanzen weiter strapazieren und so einen Kapitalabfluss aus der europäischen Peripherie ins Zentrum organisieren. Das verschärft makroökonomische Ungleichgewichte, die schon lange vorherrschen und maßgeblich zur Euro-Krise beitrugen.
Profiteure Deutschland und Frankreich
Dabei gäbe es sinnvolle Alternativen: Portugal und Spanien etwa verfügen über ungenutzte Potenziale in erneuerbaren Energien wie Solar- und Windkraft und kämpfen gleichzeitig mit hoher Arbeitslosigkeit. Investitionen hier könnten Arbeitsplätze schaffen, Abhängigkeiten reduzieren und den wirtschaftlichen Abstand zum Zentrum verringern. Doch das liegt offenkundig nicht im Interesse der von Deutschland und Frankreich dominierten EU.
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Anstatt dem Klimawandel und der ökonomischen Ungleichheit Europas mit Investitionen in eine sozial-ökologische Transformation zu begegnen, versuchen europäische Wirtschafts- und Politikeliten über das Feld der Geopolitik künstliche Einigkeit herzustellen. So wird nationale und europäische Einigung beschworen, um sich vor äußeren Feinden der Festung Europas zu schützen und sich zu vermeintlichem Wohlstand zu rüsten. Dabei widerspricht diese Strategie in gleich zweierlei Hinsicht den Interessen der Bevölkerung: Sie steigert das außenpolitische Eskalationspotenzial und beschleunigt die Umverteilung von unten nach oben.
Die Mischung aus wachsender Ungleichheit, sozialer Unsicherheit und Militarisierung bietet zudem einen fruchtbaren Nährboden für das weitere Erstarken rechtsextremer Kräfte. Je weiter sich die EU in diese Richtung bewegt, desto wahrscheinlicher wird es, dass jene Kräfte früher oder später die Kontrolle über eine maximal aufgerüstete Union mit hochmilitarisierten Gesellschaften haben werden – und dank veränderter Schuldenregeln auch über den finanziellen Spielraum, die Aufrüstung weiterzutreiben.
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