318 Millionen für die Antisemitismusbekämpfung – wirklich?

Mit hohen Summen geförderte Organisationen lobbyieren aufseiten Israels

  • Yossi Bartal, Matthias Monroy
  • Lesedauer: 7 Min.
Armin Laschet, damals NRW-Ministerpräsident, im Jahr 2018 beim Rüstungskonzern Elbit Systems in Tel Aviv. Sein »Abraham Accords Institute« erhält Bundesmittel zur Antisemitismusbekämpfung.
Armin Laschet, damals NRW-Ministerpräsident, im Jahr 2018 beim Rüstungskonzern Elbit Systems in Tel Aviv. Sein »Abraham Accords Institute« erhält Bundesmittel zur Antisemitismusbekämpfung.

Seit 2020 hat der Bund 318 Millionen Euro für den Kampf gegen Antisemitismus ausgegeben. Das geht aus einer Antwort auf eine Schriftliche Frage des Linke-Abgeordneten Jan Korte vom Februar hervor. Die Gesamtsumme ergibt sich aus den Antworten mehrerer Bundesministerien zu geförderten Projekten und Institutionen in diesem Bereich. Unter die Rubrik fallen auch Projekte, »die primär einen anderen Zweck verfolgen, aber mittelbar auch Antisemitismus bekämpfen«. Eine zusätzliche Finanzierung durch Bundesländer und Kommunen wurde in der Antwort, die Korte aus dem Bundesinnenministerium erhielt, nicht berücksichtigt.

Das »nd« hat bei Ministerien nachgefragt, welche Organisationen oder Vereine in der vergangenen Legislatur – also von 2021 bis 2024 – mit diesem Ziel gefördert wurden. Den Antworten zufolge gingen beträchtliche Summen zur mittelbaren oder unmittelbaren Bekämpfung von Antisemitismus an Museen, Universitäten, Stiftungen, kulturelle Einrichtungen, Bildungsträger und viele kleinere Initiativen und Projekte. Den größten Einzelposten machen 80 Millionen Euro aus, die das Jüdische Museum in Berlin erhielt. Auch die Amadeu-Antonio-Stiftung, die Bildungsstätte Anne Frank oder die Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem werden gefördert. Weitere 3,2 Millionen Euro gingen an die Internationale Holocaust Remembrance Alliance (IHRA). Ihre Antisemitismus-Definition, die auch Kritik am Staat Israel einschließt und deshalb umstritten ist, wurde von einigen der geförderten Organisationen zur Grundlage ihrer Arbeit gemacht.

Unter den Begünstigten ist der Bundesverband der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS). Die Organisation erfasst und analysiert antisemitische Vorfälle in Deutschland und tritt dazu als sogenannte Meldestelle auf. Auch RIAS klassifiziert kritische Äußerungen über den Staat Israel als »antisemitisch« – etwa einen Holocaust-Gedenkvortrag des renommierten israelischen Historikers Moshe Zimmermann, dessen Eltern aus Nazi-Deutschland flohen, oder ein preisgekröntes Stück in einem Münchner Theater über eine jüdisch-palästinensische Liebesgeschichte, das weltweit – auch in Israel – erfolgreich aufgeführt wurde. In der RIAS-Statistik tauchen solche »Vorfälle« neben unbestritten antisemitischen Taten auf, darunter etwa Hitlergrüße oder antijüdische Parolen auf Demonstrationen.

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Das Geld geht jedoch auch an Organisationen, die sich dezidiert politisch betätigen. So hat das Innenministerium jährlich 760 000 Euro an die Werteinitiative e.V. ausgezahlt – das ist laut eigenen Angaben im Lobbyregister des Bundestages der größte Teil ihres Budgets. Der Verein präsentiert sich dort als eine zivilgesellschaftliche Stimme, deren Auftrag es ist, »den Dialog zwischen der jüdischen Bevölkerung und der Politik zu fördern«. Als Interessenbereiche nennt die Werteinitiative »Extremismusbekämpfung«, dazu will sie das Strafgesetzbuch verschärfen und Förderrichtlinien »anpassen«. Aktuell lobbyiert die Werteinitiative für ein Gesetz zur »Verhinderung der Einbürgerung antisemitischer Ausländer«.

Der »Spiegel« legte 2019 dar, wie die Werteinitiative an der Vermittlung von Spenden für Abgeordnete beteiligt war und warf ihr unter Berufung auf mehrere befragte Quellen »fragwürdige Methoden« bei ihrer Einflussnahme auf das Parlament vor. Dennoch hat die Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) die unter ihrem Vorgänger Horst Seehofer (CSU) begonnene institutionelle Förderung der Werteinitiative nicht eingestellt.

Auch das Mideast Freedom Forum Berlin, das sich laut eigener Aussage der »Politikberatung« widmet, erhielt zur Antisemitismusbekämpfung 340 000 Euro aus der Staatskasse. Anfragen des »nd« zur konkreten Verwendung der Mittel beantwortete die Organisation nicht. Die Organisation führt proisraelische Demonstrationen durch und veröffentlicht laut ihrer Webseite »Policy Papers«, in denen sie für die deutsche Unterstützung einer israelischen »Kontrolle der Sicherheitsbelange im Gazastreifen« wirbt. Gefordert wird auch das Einfrieren von Zahlungen an die Palästinensische Autonomiebehörde, sofern diese weiterhin inhaftierte Palästinenser in israelischen Gefängnissen unterstützt. Trotz des eigentlich eindeutigen politischen Auftrags ist der Verein nicht im Lobbyregister des Bundestages verzeichnet. Auch dazu beantwortete das Mideast Freedom Forum Nachfragen nicht.

Mehrere Hunderttausend Euro aus dem Bundesinnenministerium, dem Wirtschaftsministerium und dem Gesundheitsministerium flossen in der vergangenen Legislatur außerdem an das European Leadership Network (ELNET), das Israel-Reisen für Abgeordnete oder Treffen mit Vertreter*innen aus Politik, Wirtschaft und Rüstungsindustrie veranstaltet. Die Organisation mit Büros in Rom, Paris, Brüssel, London, Warschau und Berlin will, wie von ihrem Vorsitzenden im vergangenen Jahr in der Knesset erklärt, »europäische Initiativen gegen Israel blockieren« und ist die wohl wichtigste Israel-Lobby-Organisation in Europa. Dieses Ziel setzt ELNET »in Zusammenarbeit mit dem israelischen Außenministerium und dem Nationalen Sicherheitsrat« um.

Auch die Deutsch-Israelische Gesellschaft (DIG) ist unter den Begünstigten größerer Summen aus dem Bundeshaushalt. Diese gut vernetzte Mitgliederorganisation hängte vor drei Jahren auf der Bühne einer Kundgebung in Berlin ein Banner mit der Karte eines Großisraels auf, in dem die besetzten palästinensischen Gebiete nicht existieren. Diese Karte vom Mittelmeer bis zum Jordan war illustriert mit einem Davidstern und dem Spruch: »Wir stehen an der Seite Israels«.

Auf Fragen des »nd« versichert die DIG indes, dass sie im Nahost-Konflikt »seit ehedem« die Zweistaatenlösung unterstützt und »zum Völkerrecht« stehe. In einer in der Antwort-Mail verlinkten Erklärung nennt DIG dennoch eine Lösung in den Grenzen von 1967 eine »Illusion« und bestreitet, dass sämtliche Siedlungen in der Westbank völkerrechtswidrig seien. Damit widerspricht sie der offiziellen Position Deutschlands in dieser Frage. Dennoch erhielt die DIG in der letzten Legislatur 2,25 Millionen Euro als institutionelle Förderung vom grün-geführten Auswärtigen Amt.

Vorsitzender der DIG ist der ehemalige Parlamentarische Geschäftsführer der grünen Bundestagsfraktion Volker Beck. Er betreibt mit dem Tikvah Institut eine eigene gemeinnützige Unternehmensgesellschaft, die etwa Forschungen über die Medienberichterstattung zum Nahost-Konflikt oder Workshops für Polizisten zur Sensibilisierung für Antisemitismus durchführt. Gemäß dem Bundestags-Register lobbyiert Tikvah aber auch für Gesetzesinitiativen, etwa gegen propalästinensischen Aktivismus an Hochschulen.

Für seine Tätigkeiten erhielt das Institut in den vergangenen Jahren 1,6 Millionen Euro vom deutschen Innen- sowie weitere 289 000 Euro vom Forschungsministerium. Zudem führt Volker Beck ein Beratungsunternehmen mit dem kryptischen Namen »N.N.« Die Ein-Mann-Firma gibt im Lobbyregister des Bundestages an, in verschiedenen Interessenbereichen tätig zu sein, darunter Kinder- und Jugendpolitik, Arzneimittel und Bauwesen. Als einziger Auftraggeber im Jahr 2023 ist im Lobbyregister der Name von EUTOP verzeichnet – eine der größten Lobbyagenturen in Deutschland. Welche konkreten Aufträge sie an Beck erteilte, wird dort nicht erläutert. Die Organisation »N.N.« reagierte nicht auf Anfragen des »nd«. Das Tikvah-Institut erklärte indes, in den anderen Jahren seit 2021 weder Auftraggeber noch Auftragnehmer der Firma seines Geschäftsführers gewesen zu sein.

Zu den Projekten, die laut dem Bundesinnenministerium direkt oder mittelbar Antisemitismus bekämpfen, gehört zudem das »Abraham Accords Institute«, das der ehemalige CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet gegründet hat. Der in Aachen eingetragene Verein zur »Förderung des Abraham Prozesses für Frieden und regionale Integration« wird mit einer Million Euro von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM), Claudia Roth (Grüne), gefördert. Der von Donald Trump in seiner ersten Amtszeit gestartete Prozess hatte das Ziel, die Beziehungen zwischen Israel und einigen arabischen Ländern zu normalisieren – allerdings ohne gleichzeitig eine einvernehmliche Lösung für den Israel-Palästina-Konflikt zu suchen.

Ein Institut mit dem fast identischen Namen wurde von Trumps Schwiegersohn Jared Kushner gegründet. Eine Frage, wie eng die beiden Einrichtungen kooperieren, beantwortete das Laschet-Institut nicht. Das BKM, das zwei Projekte des Instituts zur »Kulturvermittlung« zwischen Deutschland und den Abraham-Accords-Staaten beziehungsweise »Ländern des Globalen Südens« fördert, erklärte auf Anfrage, dass keine organisatorischen oder finanziellen Verbindungen zwischen dem Institut von Kushner und dem von Laschet bestehen. Zudem sei die Ähnlichkeit des Namens »rein zufällig«.

Kommende Woche organisiert die rechtsextreme israelische Regierung in Jerusalem eine »Internationale Konferenz zur Bekämpfung des Antisemitismus«. Auch hier geht es vorrangig um die israelische Position im Nahost-Konflikt – zum Beiprogramm bietet das Diaspora-Ministerium Ausflüge an den Rand des Gazastreifens sowie ins besetzte Westjordanland an – das mit dem biblischen Namen »Samaria« bezeichnet wird. Als Redner und Gäste aus Deutschland waren neben Laschet auch der Antisemitismusbeauftragte Felix Klein sowie Volker Beck angekündigt. Für erhebliche Kontroversen sorgte in Deutschland, dass Israel zu der Konferenz auch bekannte europäische Rechtspopulisten eingeladen hat. Klein und Beck sagten daraufhin ihre Teilnahme ab, Laschet erklärte auf der Plattform X, nie eingeladen gewesen zu sein.

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