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Die Seilschaft
Christian von Ditfurth hat einen neuen Fall für Stachelmann
Ein Historiker wird tot im Bundesarchiv gefunden, nachdem er kurz zuvor noch einem Kollegen gegenüber Andeutungen über brisante Rechercheergebnisse gemacht hatte. Dieser Kollege ist rein zufällig Josef Maria Stachelmann, der schon in fünf Büchern von Christian von Ditfurth mit sich selbst, seinem privaten Glück, seinem Rheumatismus, seiner akademischen Karriere und allen möglichen anderen Unbilden kämpft. Stachelmann, ein ausgewiesener Kenner der Zeit das Faschismus, der inzwischen als historischer Privatrechercheur seine Brötchen zu verdienen versucht, wird wieder einmal wider Willen in einen Fall hineingezogen, der verwickelter kaum sein könnte.
Natürlich lockt der erfahrene Autor seine Leser unterwegs auf allerhand falsche Fährten, aber am Ende wird doch Ungeheuerliches deutlich: Der Ermordete war in alten Akten darauf gestoßen, dass eine gut organisierte Naziseilschaft gegen Ende des zweiten Weltkrieges umfangreiche Parteifinanzen beiseite geschafft, gebunkert, gewaschen und letztlich einem neuen zukunftsträchtigen Verwendungszweck zugeführt hat. Unterstützt von seinem eigenwilligen Helfer Georgie, mit dem ihn aus einem früheren Fall eine Art freundschaftliche Schicksalsgemeinschaft verbindet, stößt Stachelmann auf eine streng im Hintergrund wirkende Einrichtung.
Die »Akademie« – so ihr schlichter Titel – knüpft Beziehungen, bringt Entscheidungsträger zusammen, beeinflusst politische Entwicklungen. Eine neokonservative Denkfabrik, ein neoliberaler, in Teilen reaktionärer Think tank, der sich mit der Aura des Exklusiven und Überparteilichen umgibt, aber aus den wirren Zeiten des Kriegsendes nicht nur Gelder aus braunen Kassen, sondern auch manche düstere Grundüberzeugung in die neue Zeit transferiert hat. Und für ihre Fortexistenz geht die »Akademie« notfalls über Leichen.
Ditfurth sorgt dafür, dass sein ermittelnder Historiker der Polizei fast immer eine Nasenlänge voraus ist – manchmal im Auftrag der Behörden, manchmal gegen deren Willen. Er beschreibt die Machtspielchen zwischen Politik, Geheimdiensten und Polizei und zeigt, wie mitten in der demokratischen Gesellschaft einflussreiche Leute Verabredungen treffen, die weitaus mehr Bedeutung haben können als Beschlüsse von Parlament oder Regierung. Das alles – so sehr man sich wünschen mag, es sei reine Fiktion – klingt nach aller Erfahrung mit dem Politik- und Medienbetrieb derart glaubwürdig, dass einem angst und bange werden kann. Ditfurth immerhin hat als Autor die Möglichkeit, es so einzurichten, dass sein Detektiv der Gerechtigkeit mit einem kleinen Akt der Selbstjustiz zum Durchbruch verhilft – wenigstens in einem Einzelfall.
Auch wenn die eine oder andere Figur manchmal etwas schablonenhaft daherredet – Ditfurth hat alles in allem wieder einen spannenden Krimi vorgelegt, der sich von der oftmals nicht schlecht gemachten Massenware dadurch unterscheidet, dass es nicht nur um Mord, Totschlag und Nervenkitzel geht. Bei Christian von Ditfurth geht es immer um gesellschaftlich relevante Fragen, um einen politischen Kontext, der seine Bücher aus der Serienproduktion der Beliebigkeit heraushebt. Wer das erleben will, kann übrigens auch zu Ditfurths noch nicht all zu lange auf dem Buchmarkt befindlichen Spionagethriller »Das Moskau-Spiel« greifen. Kein Stachelmann-Fall diesmal, sondern ein spannungsgeladener Ausflug in die Halbwelt der Geheimdienste in West und Ost, die ihre Konflikte aus den Zeiten des Kalten Krieges ins Heute mitgenommen haben – mit allen manchmal lächerlichen, manchmal lebensgefährlichen Absurditäten dieses Berufsstandes. Man kann, neben aller literarischen Fiktion, aus Ditfurths Büchern etwas über Geschichte und Gegenwart lernen; man kann sich an mancher Darstellung reiben, aber man liest Ditfurth nicht nur für den Augenblick. Etwas bleibt hängen – zumindest die Erkenntnis, dass dieser Autor eine Haltung hat. Und die gewiss begründete Hoffnung, dass Stachelmanns sechster Fall längst nicht sein letzter gewesen ist.
Christian von Ditfurth: Die Akademie. 443 S., brosch., 9,95 €.
Christian von Ditfurth: Das Moskau-Spiel. 446 S., geb., 19,95 €. Beide Kiepenheuer & Witsch.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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