Klimaschutz und Geopolitik
Die EU-Staats- und Regierungschefs sprechen über Energieabhängigkeit von Russland sowie CO2-Minderungsziele
EU-Kommissar Günther Oettinger gibt Entwarnung: Trotz des Ukraine-Konflikts befürchtet der CDU-Politiker keine Engpässe bei der Energieversorgung der EU-Mitgliedsstaaten. Es gebe täglich Kontakte zu russischen Energieunternehmen, namentlich zu Gazprom, auf höchster Ebene. »Wir sind uns einig, dass Gaslieferungen für diesen politischen Konflikt doch eher ungeeignet sind«, sagte Oettinger am Mittwoch der »Welt«.
Beim heute in Brüssel beginnenden Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs wird diese Frage dennoch breiten Raum einnehmen. Die Abhängigkeit der EU von Energieimporten ist als Extra-Thema ganz oben auf die Gipfel-Agenda gesetzt worden. Ohnehin sollten ursprünglich die Energie- und Klimaziele der EU bis 2030 das zentrale Thema sein - nun aber werden sie unter völlig veränderten Vorzeichen abgehandelt.
Damit die Klimaziele nicht unter die Räder der Außenpolitik geraten, versuchen Umweltverbände, den Konflikt mit Russland für die eigenen Zwecke einzuspannen. »Die Krim-Krise macht einmal mehr deutlich, dass die Europäische Union die wirtschaftliche Abhängigkeit von fossilen Energieträgern wie Erdöl und Erdgas durchbrechen muss«, meint etwa der Präsident des Naturschutzbundes Deutschland (NABU), Olaf Tschimpke. Die Antwort auf die Krim-Krise sei daher auch, mehr für den Klimaschutz zu tun.
Im Grunde genommen hat er Recht: Wenn sich die EU ambitionierte Klimaziele setzt, die dann auch umgesetzt werden, würde dies die Abhängigkeit von Energieimporten, egal woher sie kommen, massiv reduzieren. Der NABU fordert, bis zum Jahr 2030 die Treibhausgasemissionen um 40 Prozent zu senken, den Anteil der erneuerbaren Energien um mindestens 30 Prozent zu erhöhen und erstmals ein festes Ziel von 40 Prozent Energieeinsparung festzulegen. Dafür hatte sich im Januar auch das Europaparlament ausgesprochen. Andere Umweltverbände halten mindestens 50 Prozent CO2-Reduktion für notwendig. EU-Kommission und Ministerrat hingegen stehen auf der Bremse: Nach langem Hickhack hatte Brüssel vorgeschlagen: 40 Prozent Treibhausgasminderung, 27 Prozent Anteil der Erneuerbaren am Energieverbrauch der EU insgesamt und kein Effizienzziel. In dieser Frage sollte der jetzige EU-Gipfel eine Einigung bringen. Gerade dank des Rückendwindes aus dem Europaparlament hatten Umweltverbände auf eine Nachbesserung gehofft.
Daraus dürfte nun aber nichts werden. Schon bei früheren geopolitischen Großereignissen wurde die Klimapolitik rasch an den Rand gedrängt. Als die Weltwirtschaftskrise Ende 2008 offen ausbrach und die Konjunktur einbrach, sanken der Energieverbrauch und mit ihm die Kohlendioxidemissionen wie von alleine. Später durften Klimaschutzziele nicht den Konjunkturankurbelungsversuchen im Wege stehen. Das galt gerade auch für die EU, die bis heute nicht zu ihrer zeitweiligen globalen Vorreiterrolle in Sachen Klimaschutzpolitik zurückgefunden hat.
Dabei laufen derzeit auf globaler Ebene wichtige Vorbereitungen: Beim UN-Gipfel 2015 in Paris soll endlich ein ambitionierter weltweit geltender Klimaschutzvertrag verabschiedet werden. Bislang geht es äußerst zäh voran. Ohne internationales Vertrauen ist kaum eine Einigung zu erwarten. Ein womöglich länger anhaltender Konflikt des Westens mit Russland dürfte hier äußerst schädlich sein.
Solche Überlegungen werden den EU-Gipfel nicht beschäftigen. Hier geht es vorrangig um die Frage, ob sich die Abhängigkeit der EU von russischem Öl und Gas kurzfristig etwas reduzieren lässt. Sehr viel wird freilich nicht passieren. Die Frage betrifft einige Länder in Ost- und Mitteleuropa, aber zahlreiche Staaten in Nord-, West- und Südeuropa beziehen wenig Öl und Gas aus Russland. Jenseits von Liberalisierungsvorgaben und grenzübergreifenden Infrastrukturprojekten entscheiden die Nationalstaaten im Alleingang über Energiefragen. Eine EU-Energiepolitik, die diesen Namen verdienen würde, gibt es eigentlich nicht. Auch außenpolitisch: Der Versuch, im Nabucco-Pipeline-Projekt Erdgasvorkommen vom Kaspischen Meer unter Umgehung Russlands direkt nach Europa zu transportieren, wurde 2013 sang- und klanglos aufgegeben.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.