Wie die Männerherrschaft in die Welt kam

Gerda Lerner ist eine Pionierin der Geschlechterforschung und eine der »vergessenen« Marxistinnen. Anfang 2023 jährte sich ihr Tod zum zehnten Mal. Ein Gespräch mit Alexandra Arnsburg, der Lektorin der deutschen Ausgabe von Lerners Buch »Die Entstehung des Patriarchats«

Das Patriarchat in einer bürgerlichen Inkarnation: häusliche Szene im US-Bundesstaat New Jersey, 1942
Das Patriarchat in einer bürgerlichen Inkarnation: häusliche Szene im US-Bundesstaat New Jersey, 1942

Frau Arnsburg, wer war Gerda Lerner?

Interview

Alexandra Arnsburg wurde 1977 in Berlin-Lichtenberg geboren, machte nach dem Abitur eine Ausbildung zur Kauffrau für Bürokomunikation und arbeitet seit 2000 im Kundenservice der Deutschen Telekom. Sie ist aktiv im verdi Fachbereich A und im Landesfrauenrat, bei der Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG) und der Sozialistischen Organisation Solidarität (Sol). Ihre Lektoratsarbeit für den Manifest Verlag erledigt sie ehrenamtlich.

Gerda Lerner hat ihr Erwachsenenleben in den USA zugebracht. Sie musste 1939 aus Österreich emigrieren, weil sie aus einer jüdischen Familie kam. Das hat sie auch recht früh politisiert, sie musste sehr schnell erwachsen werden. Den ersten Teil ihres Lebens hat sie ein klassisches Frauenleben geführt, also geheiratet und Kinder bekommen. Erst mit Mitte, Ende 30 hat sie angefangen zu studieren. Sie war auch immer schon Aktivistin, also ein politischer Mensch – was als Hausfrau und Mutter nicht so einfach war. Zudem war sie Mitglied der Kommunistischen Partei der USA und auf verschiedenen Ebenen in der Bürgerrechtsbewegung aktiv. Im Rahmen ihres Geschichtsstudiums hat sie eine Stelle als wissenschaftliche Hilfskraft bekommen und wurde sogar freigestellt für weitere Forschungen. Das hat sie in die Lage versetzt, wirklich tief in die Materie einzusteigen und Historikerin zu werden. Das Buch von Lerner, das ich lektoriert habe, heißt »Entstehung des Patriarchats« und kam quasi auf dem Weg zu einem anderen Buch über die »Entstehung des feministischen Bewusstseins« zustande. Lerner hat zum Forschungsfeld der Frauengeschichte und zur feministischen Debatte unschätzbare Beiträge geleistet, sie hat etwa auch zur Frage von Schwarzen Frauen in den USA publiziert und war darin eine der Pionierinnen unter weißen Aktivistinnen.

Könnten Sie kurz skizzieren, was die Hauptthesen der »Entstehung des Patriarchats« sind?

Lerner geht davon aus, dass es vor dem Patriarchat nicht ein Matriarchat gegeben hat, sondern eine Gesellschaft, in der Männer und Frauen, alle Geschlechter, gleichwertig waren und es eine entsprechend herrschaftsfreie Arbeitsteilung gab. Diese habe entsprechend nicht über den Zugang der einzelnen Person zu Nahrung bestimmt, ein Konzept von Macht oder Herrschaft habe es noch nicht gegeben. Eines ihrer Forschungsergebnisse – was Lerner selbst überrascht hat, weil sie von einer anderen These ausgegangen war – ist, dass die Etablierung des Patriarchats kein plötzlicher Umsturz war, sondern ein langer Prozess. Offenbar vergingen etwa 2500 Jahre von den Anfängen einer Ungleichheit oder Ungleichbehandlung bis zu entfalteten patriarchalen Gesetzgebungen, die es nur noch in ganz seltenen Ausnahmefällen ermöglichten, dass eine Frau in eine Machtposition gelangen konnte.

Was genau ist der Zeitraum ihrer Untersuchungen?

Sie beginnt 3100 vor Christus in Mesopotamien, Babylon und Sumer. Da gab es die ersten Versklavungen und kriegerischen Auseinandersetzungen sowie die ersten Etablierungen von Städten, die ja noch Tempelstädte waren und in denen so etwas wie eine Bürokratie im Entstehen war. Die weitreichend manifestierte Benachteiligung oder Unterdrückung von Frauen datiert Lerner auf 600 vor Christus.

Lerner war Marxistin. Worin zeigt sich denn ein materialistischer Blick in ihrer Betrachtung des Patriarchats?

Sie setzt die Tradition von Friedrich Engels fort, beziehungsweise belegt diese noch einmal mit mehr Hintergrundmaterial, schlicht indem sie festhält, dass es andere Gesellschaftsformen als die bürgerliche gegeben hat. Es waren konkrete gesellschaftlich-ökonomische Entwicklungen, die die Verhältnisse verändert haben – insofern kann man davon ausgehen, dass es auch in Zukunft ein Gemeinwesen geben kann (und wird), in denen das Patriarchat abgeschafft ist, in dem gar keine Ungleichbehandlung mehr besteht.

Im Sinne von: Es war nicht immer so wie es ist, deswegen muss es auch nicht immer so bleiben?

Genau.

Und warum betreibt Lerner ausgerechnet vorbürgerliche Patriarchatsforschung? Man könnte ja auch sagen: Die spezifische Form, mit der wir es jetzt zu tun haben, ist das bürgerliche Patriarchat und es geht vor allem darum, das zu verstehen.

Lerners Hauptanliegen war es, eine Geschichte aus Sicht der Frauen zu schreiben. Das gab es ja bis zu dem Zeitpunkt nicht, niemand hat zum Beispiel die Gesetze des mittelassyrischen Reiches aus einer feministischen Perspektive betrachtet. Sie wollte Frauen sichtbar machen und ein Erklärungsmodell für die Errichtung der Männerherrschaft finden. Dabei musste sie natürlich vor dem Kapitalismus und seinen Vorstufen anfangen, weil die Frauenunterdrückung zu dem Zeitpunkt längst manifest war. In der bürgerlichen Gesellschaft gab es ja wesentlich schlechtere Bedingungen für Frauen als etwa noch im 14. Jahrhundert. Um zu erklären, wie die Hälfte der Bevölkerung derart unterdrückt werden konnte, ist es wichtig, die dafür nötigen Faktoren herauszuarbeiten: die Kontrolle der Sexualität, die Gesetze, die Ideologie, die Religion und auch die ökonomische Abhängigkeit und die Gewalt, die über einen langen Zeitraum als System aufgebaut wurden.

Ist die Entstehung des Patriarchats also gleichzusetzen mit der Entstehung von Herrschaft an sich? Denn es stellt sich natürlich die Frage, wie überhaupt ein Element von Herrschaft in die menschliche Vergesellschaftung gekommen ist. Sagt Lerner dazu was?

Lerner geht davon aus, dass es im Kapitalismus eine herrschende Klasse und eine unterdrückte Klasse gibt. Dies manifestiert sich darin, wer die Produktionsmittel besitzt und deshalb andere Menschen ausbeuten kann. Sie betont aber auch, dass es auch innerhalb jeder Klasse noch einmal zwei Klassen gibt, nämlich Männer und Frauen. Ausserdem weist sie nach, dass Frauen die erste Personengruppe war, die ausgebeutet und unterdrückt wurde; beispielsweise waren die ersten versklavten Menschen weiblich.
Letztlich verwendet Lerner aber den Klassenbegriff nicht anders als alle klassischen Marxist*innen, indem sie die wesentlichen Unterschiede zwischen der herrschenden und der ausgebeuteten Klasse herausarbeitet. Hier betont sie, dass eine Frau aus der herrschenden Schicht – damals wie heute – viel mehr Möglichkeiten hatte, sich Freiheiten zu erobern als eine Frau aus der Unterschicht. Sie sagt eindeutig, dass man das mitbedenken muss, weil es sonst den Klassenwiderspruch verwischt.

Es stellt sich trotzdem die Frage, warum sich überhaupt eine Klassengesellschaft etabliert hat, das war ja keine Zwangsläufigkeit.

Dazu sagt Lerner eine ganze Menge. Die entscheidende historische Veränderung war ihr zufolge die Sesshaftwerdung des Menschen, dadurch wurde Nahrung sicherer verfügbar und Frauen konnten mehr Kinder bekommen als in der nomadischen Lebensweise. Die Bevölkerung nahm zu, konnte auch einen Überschuss erwirtschaften, wodurch sich die Gesellschaften wiederum leisten konnten, Einzelpersonen für bestimmte Funktionen von anderen Tätigkeiten freizustellen. Schließlich muss nun nicht mehr ums nackte Überleben gekämpft werden. Da gab es dann zum Beispiel auch Priesterinnen und Führerinnen, die bestimmte Aufgaben übernommen haben, wie zum Beispiel die Verteilung von Nahrung oder die Entwicklung von Riten oder Festen.

Das ist ja tatsächlich ein materialistischer Ansatz, der die Sozialität und die Kultur dieser Gemeinwesen aus ihrer (Re-)Produktionsweise ableitet.

Genau. Der Hauptfaktor für die Entstehung des Patriarchats war also laut Lerner die neolithische Revolution, und durch den anschließenden Bevölkerungszuwachs kam es zu Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Stämmen.

Also aus Mangelsituationen heraus, im Kampf um Ressourcen?

Aufgrund von Mangel und dadurch, dass Frauen und Kinder »mehr wert« wurden, weil es einen Vorteil bedeutete, mehr gebärfähige Frauen und entsprechend mehr Arbeitskräfte zu haben. Dadurch sei, so Lerner, das Phänomen des Frauentauschs intensiviert worden, wobei sie davon ausgeht, dass das bereits unter Zwang – familiärem Zwang und offener Gewalt – stattgefunden hat. Auf der Basis von Vergewaltigung und Schwangerschaft habe hier eine Vorform der Sklaverei entstehen können.
Allerdings sind diese Thesen aus heutiger Sicht absolut diskussionswürdig. Zum Beispiel entwickelten Frauen ja nicht gerade deshalb Loyalität gegenüber ihrem Stamm, weil sie vergewaltigt wurden und waren auch körperlich gar nicht unbedingt unterlegen. Es bleibt tatsächlich bis heute schwer zu erklären, dass gleichgestellte Frauen sich haben verschleppen und beherrschen lassen. Plausibler bezüglich des Frauentauschs etwa erscheint mir die These, die Lerner allerdings auch vorstellt, dass es hier eine Basis von Freiwilligkeit gab; dass es normal war, dass sich Frauen oder Männer anderen Stämmen anschlossen.

Man muss ja auch aufpassen, nicht die bürgerlichen Kategorien in die Geschichte zu projizieren.

Auf jeden Fall. Lerner unterstellt zum Beispiel, dass Frauen in der Frühgeschichte nicht gejagt hätten und dass es zwischen Müttern und Kindern immer eine besonders enge Bindung gab. Aber das ist nun einfach das klassische Frauenbild der 1970er Jahre, dass die Mutter das erste Jahr zu Hause ist, dem Kind die ersten Wörter beibringt und die Mimik und Gestik – beziehungsweise ist das ist ja bis heute oft so. Dass es deshalb historisch auch immer die Mutter gewesen sein muss, hat Lerner einfach unkritisch aus ihrer eigenen Zeit übernommen, auch wenn sie an anderen Stellen sehr fortschrittlich gedacht hat.

Als Historikerin kann man sich ja nur verlässlich auf Sachen beziehen, die auch durch Quellen belegt sind. Ist das denn bei Lerners Annahmen der Fall?

Erst einmal zweifelt sie die Theorien an, die männliche Historiker entwickelt haben. Überhaupt andere Thesen vorzustellen, das ist bereits das Verdienst ihres historiographischen Werks. Bis vor recht kurzer Zeit etwa sind Archäologen, wenn sie ein Skelett gefunden haben, bei dem Waffen lagen, automatisch davon ausgegangen, dass es sich um ein männliches handelt. Das ist mittlerweile anders, weil festgestellt wurde, dass selbst sehr große, kräftige Skelette mit Kampfwunden und beiliegenden Waffen, die heroisch bestattet wurden, zum Teil weiblich sind. Lerner hat mit ihren Theorien schon lange vor dieser Erkenntnis biologistischen und traditionalistischen Erklärungen etwas entgegengehalten.

Was für Quellen hat sie denn verwendet?

In »Die Entstehung des feministischen Bewusstseins« arbeitet sie sehr gut heraus, dass die Zeugnisse, die Frauen abgegeben haben, sehr viel weniger erhalten sind als die Schriften von Männern. Von Frauen aus dem Altertum liest man nichts, außer wenn jemand wie Sokrates sich auf eine Frau oder eine Schülerin beruft – nur weil so ein Philosoph mal über sie geredet hat, weiß man überhaupt, dass es diese Frauen gegeben hat. Obwohl diese Frauen natürlich auch Werke verfasst haben müssen. Aber schon damals wurden eher von Männern geschriebene Texte aufbewahrt und für wichtig befunden, besonders als dann begonnen wurde, das Weibliche abzuwerten. Und auch das ist bis heute oft so.

Auf jeden Fall, zum Beispiel im Fall von Gerda Lerner selbst. Ihr Werk kommt einer jetzt nicht sofort unter in der marxistischen Theoriebildung. Anlässlich von Lerners Tod im Jahre 2013 hat übrigens ein Autor in der »FAZ« geschrieben, sie arbeite in ihrer Patriarchatsgeschichte auch die »Mitschuld der Frau an der Entmündigung« heraus. Was halten Sie von dieser Formulierung?

Ich weiß zwar, worauf der Autor sich bezieht: Lerner nennt das »die Dialektik der Frauengeschichte«. Aber das ist keine Schuldzuweisung an die Frauen, sondern was sie meint, ist, dass wir davon wegkommen müssen, Frauen primär als Opfer zu begreifen, auch wenn sie eine unterdrückte Stellung hatten und haben. Frauen handelten und vermittelten dennoch. Aber Lerner schränkt dieses Argument sehr stark ein, indem sie sagt, dass Frauen im Großen und Ganzen daran gehindert worden sind, ihre eigene Geschichte kennenzulernen, sie selbst zu erforschen, zu interpretieren, Schlussfolgerungen daraus zu ziehen. Sie sind etwa aus der Wissenschaft ausgeschlossen worden und sehen sich durch diese Diskriminierung und Unterdrückung häufig als minderwertig und weniger klug.

Dieser Begriff der »Mitschuld« ist aber schon sehr aussagekräftig, ich halte das für eine patriarchale Entlastungsformulierung. Mich hat das erinnert an »Das andere Geschlecht« von Simone de Beauvoir, ein anderes grundlegendes Werk der Geschlechterforschung. Auch dies reproduziert meines Erachtens misogyne Elemente, und zwar indem de Beauvoir den Mann beziehungsweise das Männliche als das Erstrebenswerte setzt und die weiblich konnotierten Eigenschaften abwertet. Ausserdem denke ich an den Konflikt, über den sich die Zweite Frauenbewegung bereits in den frühen 1970er Jahren zerlegt hat: zwischen Marxistinnen und Feministinnen, sprich dem Differenzfeminismus. Während letztere »das Weibliche« essenzialistisch aufwerteten, vertraten viele Marxistinnen – wie de Beauvoir – die Auffassung, dass Frauen »ihren Mann zu stehen« hätten und lehnten das Label Feminismus zugunsten eines universellen Befreiungsgedankens ab. Hat Gerda Lerner sich als Feministin begriffen?

Für Lerner ist feministisches Bewusstsein die Bewusstwerdung von Frauen über ihre eigene Geschichte beziehungsweise ihr eigenes Ausgeschlossensein – und natürlich die Überwindung dieses Zustands. Sie will ein Umdenken bewirken, hat aber keinen ausgefeilten Plan, wie man das Patriarchat nun genau überwindet. Obwohl sie auch Marxistin war und Mitglied in der Kommunistischen Partei. Ihre Schlussfolgerung ist daher: Bildung, Teilhabe und Interpretation von Wissenschaft. Das ist ja auch ein guter Anfang, aber es reicht natürlich nicht (lacht).

Und wie stand Lerner zur – heute weitestgehend diskreditierten – marxistischen Figur eines Haupt- und Nebenwiderspruchs?

Sie verneint nicht den Materialismus oder die Klassenfrage. Sie meint aber – in Widerspruch zu den platten, verstaubten Marxisten aus den 1970ern –, dass die Frauen die erste unterdrückte Klasse waren und die Sexualität und Gebärfähigkeit von Frauen die erste Ware gewesen seien. Aber wie ich bereits angesprochen habe, macht Lerner in ihrer historischen Analyse einen Unterschied zwischen Frauen, die Teilhabe an Macht des Ehemanns hatten, vererben konnten oder selbst Sklavinnen hatten – also selbst Ausbeutung und Unterdrückung betrieben haben – und Frauen, die in die Prostitution gehen mussten oder versklavt wurden, weil die Familie Schulden hatte. Damit bestätigt sie gewissermaßen die Hauptwiderspruchsthese. Aber sie hat eben diesen Fokus, dass es innerhalb der Klassen noch weitere Unterdrückung gibt, darum hat sie ja auch ihre Forschung betrieben und ihre Bücher mit dem Fokus geschrieben.

Das ist vielleicht eine Teilantwort auf die Frage, wie sich das Patriarchat eigentlich etablieren konnte: Dass Frauen in privilegierten Positionen – vermittelt über den Mann – von der Ordnung zumindest ein Stück weit profitieren konnten und sich gegen die Frauen gestellt haben, die noch schlechter dran waren.

Auf jeden Fall. Die Spaltung und Entsolidarisierung von Frauen war ja häufig sogar Gesetz, schon in Mesopotamien beispielsweise mussten sich die »ehrbaren« Frauen in der Öffentlichkeit verschleiern und alle unverschleierten Frauen waren erkennbar als Prostituierte oder »Freiwild«. Als ehrbar galten lediglich Ehefrauen, Jungfrauen und Töchter. Diese Entsolidarisierung ist bis heute nicht verschwunden und es ist eine Aufgabe der feministischen Bewegung, sie zu überwinden.

Dabei geht es ja auch darum, auf dem Schirm zu behalten, was Klasse für eine Rolle in der Lebensrealität von Leuten spielt. Als Frau mit bürgerlichem Hintergrund kann ich meine Erfahrungswelt nicht so ohne Weiteres übertragen auf eine Frau, die in Armut lebt. Ich kann nicht meine eigene Erfahrung als universell ansehen, sondern muss die ökonomische Stellung mitbedenken.

Das stimmt. Die ökonomische Abhängigkeit ist ja am Ende doch der Grundpfeiler des Patriarchats. Die Religion, die Philosophie oder schlicht die gesellschaftliche Moral bilden nur die ideologische Legitimation, die entsprechend flexibel ausgestaltet wird. In den 1980ern wurde es beispielsweise plötzlich schick und feminin, arbeiten zu gehen…

Genau, aber da ist ja wieder die Frage: Für wen? Die Mehrheit der Frauen muss proletarische Jobs erledigen, die wenig glamourös sind. Es gibt einfach krasse Unterschiede in Hinblick auf die Tätigkeiten, die hier von den Angehörigen der verschiedenen Klassen ausgeübt werden können beziehungsweise müssen.

Na ja, das ist ja auch das Problem mit der bürgerlichen Frauenbewegung: Die sind für ein Recht auf Arbeit eingetreten, weil sie die Genehmigung ihres Ehemannes haben mussten, um sich beruflich betätigen zu dürfen. Aber in den proletarischen Schichten haben die Frauen – und die Kinder – ohnehin immer gearbeitet! Es wäre gar nicht gegangen ohne die weibliche Lohnarbeit, teilweise wurden Männer gar nicht eingestellt, sondern nur Frauen und Kinder. Durch den bürgerlichen Feminismus, der für ein Recht auf Arbeit und Bildung eintrat, wurden zwar auch immer mal Möglichkeiten für ärmere Frauen geschaffen, durch Stipendien oder Ähnliches. Aber das blieben Einzelfälle, die meisten Arbeiter*innen hatten gar keine Kapazitäten für Bildung – wie sollte das gehen, die Familien mussten ja erst mal satt werden.

In dem Sinne ist eben auch die bürgerliche Frauengeschichte eine Erzählung der herrschenden Klasse…

Genau. Wenn die Bürgertochter sagt, ach, ich werde jetzt Künstlerin, Schriftstellerin, Journalistin oder Anwältin, dann ist das etwas ganz anderes als wenn du sagst, ich kann mir aussuchen, ob ich in der einen oder in der anderen Fabrik 16 Stunden lang giftige Dämpfe einatme.

Zum Weiterlesen:
Gerda Lerner: Die Entstehung des Patriarchats. Mit einem Vorwort von Christine Thomas. Manifest Verlag 2022, 326 S., br., 16,90€.

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