Punk in der DDR: Sittenwidriges Fest der Sinne

Autor und Musikkenner Henryk Gericke über Subversivität damals und heute und Punk im Osten

18. Mai 1985: Privat organisiertes Punkkonzert im Hirschhof, Oderberger Strasse, in Berlin-Prenzlauer- Berg
18. Mai 1985: Privat organisiertes Punkkonzert im Hirschhof, Oderberger Strasse, in Berlin-Prenzlauer- Berg

Obwohl es selbst in ihrer Hochzeit laut emsiger Zähler des MfS nur 900 Punks in der DDR gegeben haben soll, ist diese kleine Subkultur bestens erforscht. Dokumentarfilme, Bücher und neuerdings auch Podcasts untersuchen den Punk im Osten mit unterschiedlichen Herangehensweisen. Die Mikroszene erlebt eine kleine Renaissance, die aktuellen Konzerte der Band Schleimkeim sind ausverkauft. Jan Hecks Dokumentarfilm über die Band läuft landauf und landab in den Kinos. Nun dehnt Henryk Gericke mit einem weiteren Buch den Kanon. Es heisst »Tanz den Kommunismus«und basiert auf dem Booklet der von Gericke und Mitstreitern 2019 herausgegebenen Dreifachvinylbox »too much future – Punkrock GDR«. Eine der Stärken dieses erzählenden Sachbuchs ist die feine Feder Gerickes, der die Geschichte der Bands in kulturgeschichtliche Zusammenhänge verwebt und seine persönlichen Favoriten klar benennt.

Interview

Henryk Gericke, ist 1964 in Ostberlin geboren, wo er immer noch lebt und ist Autor, Herausgeber und Galerist. Anfang der 80er war er Sänger der Ostberliner Punkband The Leistungsleichen, Ende der 80er Herausgeber unabhängiger Editionen und Samisdat-Hefte. 2010 gründete er die Staatsgalerie Prenzlauer Berg. Seit 2019 ist er Herausgeber der Schallplatten-Edition tapetopia – GDR Undergroundtapes 1980-1990. 2020 erschien die von Gericke herausgegebene Dreifachvinylbox (inkl. Buch) »too much future – Punkrock GDR«. Gerade erschien im Verbrecher Verlag »Tanz den Kommunismus« über illegale Ostpunkbands.

Warum ist Punkrock Made in GDR heute noch interessant?

Ich habe dazu eine Idee. In Zeiten, wo Reibungspunkte immer diffuser werden, gibt es ein großes Bedürfnis danach, in irgendeiner Weise subversiv zu sein, sich gegen bestimmte Dinge zu stemmen. Um sich abzugrenzen von einer anderen Generation, dem Staat, irgendwelchen Strukturen. Wenn ich mit jungen Leuten arbeite und sie frage, was bedeutet es heute, subversiv zu sein, renne ich offene Türen ein.

Ihr Buch trägt den Titel »Tanz den Kommunismus«, das gemahnt an einen Titel der westdeutschen Band DAF? Wieso haben Sie diesen Titel gewählt?

Es gibt eine technische Antwort. Die Vinyl-Compilation, in der das Ur-Booklet, das Alte Testament erschien, hieß »too much future«. Weil ich nicht wollte, dass alles durcheinandergeriet, haben der Verbrecher Verlag und ich die bearbeitete Langfassung nach dem Titel des Vorworts im Booklet benannt. Ich finde den Titel gut gewählt, zum einen holte er die Geschichte aus dem Osten raus, weil er im Westen verankert ist. Zum zweiten ist gleich im Titel anmoderiert, dass keine Litanei zu erwarten ist. Wenn es heute um Repression und Staatssicherheit geht, muss man sich fragen, warum haben das halbe Kinder in der DDR auf sich genommen, dass muss ja einen Grund geben, warum man das alles ausgehalten hat. Hier kommt man schnell auf das Lustprinzip. Im Titel ist das präsent. Untergrund war nie Strategie, Untergrund war Tanz, Spiel, ein sittenwidriges Fest der Sinne.

Punker*innen in der DDR wurden als Feind*innen des Staates behandelt. Wieso? Welche Gefahr ging von ihnen aus?

In der DDR ging es um einen großen Entwurf, die Utopie des Kommunismus. Wenn man eine Utopie durchsetzen will, kann man keine Rücksicht auf Andersdenkende nehmen und haut weg, was links und rechts im Weg steht. Punk war der Moment einer großen Irritation. Natürlich wichen Punks vom Bild der Kampfreserve der Partei deutlich ab. Punks sind nicht mehr in Reih und Glied gelaufen, sondern sind aus der Reihe getanzt und haben das Blauhemd der FDJ abgelegt. Punk war auch eine Farbenexplosion und Lärmorgie. Natürlich war der DDR-Staat damit völlig überfordert. Wenn eine Diktatur überfordert ist, schlägt sie zu.

Wann kam der Punkrock über Sie persönlich und was geschah danach?

Er kam über mich mit 13. Anfang 1978. Es war ein Prozess, man wird ja nicht gleich Punk, jedenfalls war es bei mir so. Das erste Mal mit Punkrock wurde ich nicht durchs Westfernsehen konfrontiert, sondern durch einen Artikel in der DDR-Zeitschrift »Trommel«, des Zentralorgans der FDJ für Thälmannpioniere und Schüler der 4. bis 7. Klasse. Ein kleines schwarzweiß Foto von zwei Punks auf der Kingsroad in London, ein Punk hatte, ganz untypisch, seine Haare nach hinten gegelt. Er zog ein Punkerin an einer Hundeleine durch einen Menschenauflauf. Im Artikel stand sinngemäß, Punks seien irregeleitete Jugendliche, die sich auf Konzerten gegenseitig umbringen und die Leichen in die Kanalisation schmeißen. Auch sei es ein Protest gegen den Kapitalismus, aber halt irregeleitet, weil nicht auf der Basis des Marxismus-Leninismus stattfindend. Das hat mich sofort angezündet. Nicht, dass ich umgebracht werden wollte, aber ich dachte, wow, was für eine Bewegung. Dann kam die Musik, Punk war einfach das Gebot der Stunde, in erster Linie Popkultur.

Warum gibt es in großen deutschen Publikumsverlagen keinen Platz für DDR-Subkultur? Ulrich Gutmair hat es mit seinem Buch »Wir sind die Türken von morgen: Neue Welle, neues Deutschland« immerhin zu Tropen/Klett-Cotta geschafft?

Ich hab’ spontan eine Idee. Wenn man solche Bücher herausbringt, bedarf es immer einer gewissen subkulturellen Kompetenz. Die speist sich aus ähnlichen Erlebnissen. Es kann sein, dass bei den großen Verlagen auf den Entscheideretagen Leute sitzen, die bei diesen Themen keinen Impuls spüren, etwas darüber zu veröffentlichen. Das ist meine Vermutung. Ich selbst habe eine Nähe zum Verbrecher Verlag, weil ich hier in verschiedenen Anthologien Texte veröffentlichte.

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Sie portraitieren in Ihrem Buch knapp vierzig ehemalige Punkbands. Unter welchen Prämissen haben Sie die Bands ausgewählt?

Entscheidendes Kriterium war, es musste sich um illegale Bands handeln. Es sind viele Bands dabei, die ihren Probekeller nie zu Auftritten verlassen haben, die im Keller verreckt sind. Natürlich musste es mir musikalisch gefallen. Mir war auch ein gewisser Pop-Appeal wichtig, ich wollte nicht aus rein dokumentarischen Gründen jede Rotzband dazuholen. Wahre Punks mögen mir das bitte verzeihen, ich wollte, dass zumindest ein Song erkennbar ist. Es sind viele Bands dabei, die in meinem Herzen sind, die ich live gesehen habe, deren Texte mich bis heute begleiten. Bei Bands wie Planlos, Namenlos oder L’Attentat nahm mich das Schreiben der Texte ganz schön mit, das waren Monster, an denen ich mich abarbeitete. Die Auswahl, basierend auf der Tracklist der Box, haben wir zu dritt festgezurrt, Maik Reichenbach (L’Attentat), Pankow (Planlos) und ich. Ein Beispiel wie kompliziert es werden konnte: Bei Restbestand war es so: von den ursprünglich drei Leuten lebt einer nicht mehr, einer war in Kambodscha gelandet und der dritte in Zürich. Ich fragte beide, wann hat denn Restbestand existiert? Sagt der eine: 1984 gegründet. Der andere sagt, wir haben uns 1984 aufgelöst. Ich musste dann gucken, dass ich die Unschärfe rausbekam. Ich wollte die Bands nicht nur portraitieren, sondern auch einbetten. Gefahrenzone aus Saalfeld, zwischen der Idylle der Feengrotten und dem harten Knast in Unterwellenborn gelegen. Das nicht zu beschreiben, wäre doch ein Jammer, das ist doch psychodynamisch.

Wenn Schleimkeim heute im SO 36 ihre zumeist vierzig Jahre alten Songs zum Besten geben, singt der ausverkaufte Saal jede Liedzeile mit. Wie erklären Sie sich diese tiefe Identifikation mit Zeilen wie: »Kriege machen Menschen, Menschen machen Krieg«? Woher kommt die plötzliche Popularität von SK?

Das ist für mich nicht einfach zu erklären. Den Status, den SK heute hat, besaßen sie zu DDR-Zeiten nicht. Das ist bitte nicht als Ansage gegen die Band zu verstehen. Die damals wichtigen Bands wie Planlos, Namenlos oder Wutanfall spielen heute keine Rolle mehr. Schleimkeim hatten das große Glück, dass bei Höhnie-Records schnell einiges an Songs erschien. Das hat die Band im Westen bekannt gemacht. Eine positive Pioniertat. Sie waren die ersten, die im Westen produziert und vermarktet worden sind. Sie kamen auf CD heraus, das war damals eine angesagte Sache. Der Erfolg der heutigen Schleimkeim-Besetzung ist mit der legendären Figur des Dieter Otze Ehrlich verbunden. Der Kult um Otze prägt bis heute den Kult um Schleimkeim. Er hat die meisten Lieder geschrieben und die musikalische Umsetzung vorgegeben. Er steht als Präsenz im Raum. Schleimkeim habe ich ein-, zweimal gehört, es war nicht mein Fall. Was ich an SK bemerkenswert finde, ist Otze als singuläre Gestalt des Punk. Schleimkeim hat eine Mixtour aus Funpunk und hochpolitischen Texten gesungen, die heute in den Herzen einer neuen, anderen Generationen präsent sind, das ist vielleicht der Grund für ihre heutige Popularität.

Sie sind seit 2019 Herausgeber der Schallplatten-Edition tape topia – GDR Undergroundtapes 1980-1990. Was hat es damit auf sich?

Ich hab’ mal eine CD und später ein Doppelalbum für eine große Ausstellung im Gropiusbau herausgegeben, da bin ich wieder sehr durchdringend mit alten Tapes in Berührung gekommen, die ich früher oft und intensiv gehört habe. Klick & Aus, The Local Moon, Ornament & Verbrechen und so weiter. Die Tapes waren für mich genauso wichtig wie eine Killing Joke, Stranglers oder Wire LP. Diese Tapes sind künstlerisches Material, das erstens nicht nur hörbar ist, sondern bis heute musikalisch gültig ist, auf eine andere Weise als Schleimkeim. Darum gibt es die Reihe. Die Bands sind nie veröffentlicht worden, es gab damalig vielleicht 10 oder 20 Kopien. Jede LP erscheint in einer 100er Auflage als Tape und 500er Auflage LP. Überschaubare Zahlen, muss man aber erstmal verkaufen. Das heute zu tun, ist für mich ein Moment großer Befriedigung. Es sind Dinge, die vom Verschwinden bedroht sind, wo ich mir denke, ok, das ist eine Kultur, die ist es wert, erhalten zu bleiben.

Gibt es eine Lesetour? Wo stellen Sie das Buch vor?

Am 14. Mai stelle ich »Tanz den Kommunismus« in der Fahimi-Bar in Berlin-Kreuzberg vor. Danach gehe ich damit auf Tour.

Was können wir in Zukunft von Ihnen publizistisch erwarten?

Mal schaun. Ich bin gerade der 31. Burgschreiber zu Beeskow und schreibe aktuell an einer Erzählung, die vielleicht auch ein Roman wird. Da geht es ganz am Rande um Subkultur in der DDR. Nicht um die Punkszene, sondern um die unabhängige Literatenszene.

Henryk Gericke: Tanz den Kommunismus. Punkrock DDR 1980-1989. Verbrecher Verlag, 200 S., br., 20 €

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