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Herbert Hörz: Humanist und Marxist
Zum Tod des Philosophen Herbert Hörz
»Die Potenzen einer marxistischen Theorie sind bei Weitem nicht erschöpft, und die humane Vision einer Assoziation freier Individuen mit sozialer Gerechtigkeit und ökologisch verträglichem Verhalten bleibt ein Ideal aktiven Handelns«, war Herbert Hörz bis zuletzt überzeugt. Diese Gewissheit beflügelte seinen Protest, als im sich vereinigenden Deutschland selbstgewisse Politiker »Marx ist tot, Jesus lebt!« posaunten und im angeschlossenen Ostteil des Landes marxistische Lehrstühle und Institute eliminiert wurden. Und auch er arbeitslos wurde.
Ebenso vertrat Hörz diese Ansicht, als mit dem Übertritt ins neue Millennium viele Linke sich von marxistischer Analyse verabschiedeten, um mittels der bürgerlichen Ideologie entnommener Versatzstücke neue Denkkonstrukte und Handlungsanleitungen zu basteln. Die ihnen nicht den erhofften Erfolg bescherten, eher ihr Verschwinden in die Marginalität beschleunigten. Wenn der Mensch die Wahl hat, wählt er das Original, nicht die Kopie.
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Im schwärzesten deutschen Jahr, 1933, in Stuttgart geboren und eingeschult, wuchs der Sohn einer alleinerziehenden Mutter zunächst bei Onkel und Tante auf, übersiedelte nach Heirat der Mutter nach Erfurt, wo er das Abitur ablegte, um hernach an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena Philosophie zu studieren. Sein Examen bestand er »Mit Auszeichnung« und seine anschließende Promotion an der Humboldt-Universität zu Berlin mit »Summa cum laude«. Seine Doktorarbeit befasste sich mit den »Unbestimmtheitsrelationen« von Werner Heisenberg, Begründer der Quantenmechanik, mit dem er später, zu dessen Zeiten als Direktor des Münchner Max-Planck-Instituts für Physik, brieflichen Kontakt pflegte. Hörz selbst habilitierte sich an der Ostberliner Alma Mater mit einer Schrift über »Philosophie und Quantenmechanik«.
»Philosophische Probleme der Naturwissenschaften« sollten sein Leit- und Lebensthema werden. So nannte sich auch ein 1959 an der Humboldt-Universität gegründeter Lehrstuhl, an dem Hörz seine wissenschaftliche Karriere begann, die er ab 1972 an der Akademie der Wissenschaften der DDR fortsetzte und die ihm nationale und internationale Meriten einbrachte. Weshalb er in den Mittneunzigern noch an der Berlin-Brandenburgischen Akademie mitarbeiten durfte – als unangefochtener Experte bei der Edition der Werke des Universalgelehrten Hermann von Helmholtz.
Zu dieser Zeit hatte sich wider die Entsolidarisierung westdeutscher Kollegen, mit denen man während deutscher Zweistaatlichkeit durchaus im Meinungsaustausch gestanden und sich gegenseitig respektiert hatte, die Leibniz-Sozietät als Rechtsnachfolger der Gelehrtengesellschaft der abgewickelten DDR-Wissenschaftsakademie konstituiert, deren Mitglied Hörz selbstredend war und der er schließlich gar als Präsident (1998 bis 2006) vorstand.
Vehement verwahrte sich Hörz gegen das Verdikt der »Kaderphilosophie«, wiewohl er das Philosophieren im ostdeutschen Staat auch kritisch reflektierte, insbesondere Eingriffe und Vorgaben »von oben« beklagte. Er selbst machte erste Erfahrungen mit dogmatischer Schelte Mitte der 50er, als er an seinen ersten Helmholtz-Arbeiten saß. Die Geschichte der DDR-Philosophie gliederte er in der Rückschau in mehrere Phasen: Profilierung, Hoffnung und Repression, Machtstabilisierung, Apologie und Systemimplosion. Für die End-80er bescheinigte er ihr, selbstkritisch, Versagen. Hörz machte aber nie einen Hehl daraus, trotz Wahrnehmung der Diskrepanz von Ideal und Wirklichkeit sowie »despotischer Elemente der Partei- und Staatsdiktatur«, sich ganz und gar dem »sozialistischem Experiment« DDR verschrieben zu haben. Und er war sich, wie gesagt, bis zuletzt gewiss: »Die Suche nach einer humanen Gesellschaft geht weiter.«
Für Hörz schloss sich Wissenschaft und politische Parteinahme nicht aus. Sich in einen Elfenbeinturm zurückzuziehen, war seine Sache nicht. In einem Artikel für diese Zeitung fragte er beispielsweise: »Was suchten Gelehrte wie Herbert Marcuse, Franz Neumann oder Otto Kirchheimer im Geheimdienst und im Regierungsapparat der USA? Verletzten sie derart nicht das wissenschaftliche Rationalitätskriterium der Objektivität? Sind Wahrheitssuche und Politikberatung vereinbar?« Eine komplexe und komplizierte Frage. Auf die allerdings die Antwort nur klar und eindeutig ausfallen kann, wenn es – wie in diesem, von ihm angesprochenen konkreten Fall – darum ging, alle Kräfte gegen ein inhumanes, menschenverachtendes, barbarisches System wie die Hitlerdiktatur zu vereinen.
Hörz war ein Dialektiker bester, klassischer Schule. Dialektik undogmatisch und wirklichkeitsorientiert anzuwenden und damit das Erkennen unserer Welt zu fördern, wie sie ist und wie sie werden kann, war sein Credo. In der materialistischen Dialektik sah er das »Denkinstrument zur Zukunftsgestaltung«, wie auch ein Buchtitel von ihm verhieß. Sie hat sich natürlich mit wahrhaftigem Humanismus zu verbinden. Solch formidable Kombination wäre ein Garant, die aktuellen Herausforderungen, Klimawandel, Ökologie und Nachhaltigkeit zu bewältigen, um das Überleben der Menschheit zu sichern.
Am 8. Juni verstarb Herbert Hörz. Als sein Vermächtnis hinterlässt der marxistisch-humanistische Philosoph »Humankriterien« und »Humangebote«, zu denen auch und gerade sozial-ökologische Verantwortung gehört und die nachzulesen und zu beherzigen gewinnbringend ist.
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