Berlinale: Scharf auf Anne

Mit »Islands« präsentiert »Oh Boy«-Regisseur Jan-Ole Gerster einen erstaunlich spannungsarmen Thriller, der am Ende gar keiner ist

Film »Islands« – Berlinale: Scharf auf Anne

Zwei Filme hat Jan-Ole Gerster bisher vorgelegt, die jeder für sich Furore machten. Besonders sein Erstlingswerk »Oh Boy« (2012) blieb in Erinnerung als seltener Glücksfall eines Arthouse-Films, der auch kommerziell erfolgreich war. Die in Schwarz-Weiß gefilmte, so gänzlich undeutsche, mit Jazzmusik unterlegte flirrende Leichtigkeit, mit der Tom Schilling seinerzeit durch Berlin mäanderte, wurde damals sogleich mit dem Deutschen Filmpreis gewürdigt. Auch sein zweiter Film »Lara« (2019) mit Corinna Harfouch überzeugte – durch das ausgefeilte Drehbuch des slowenischstämmigen Autors Blaž Kutin, das den Film zu einem genau austarierten Gebilde machte, aus dem man kein Puzzleteil hätte entfernen können, ohne das das Konstrukt zusammenbräche.

Das Buch zu Gersters aktuellem Film »Islands«, der seine Premiere in der Sektion Berlinale Special hatte, stammt ebenfalls von Kutin, basierend auf einer Idee von Gerster. Diesmal begeben sich beide auf eine namenlose spanische Ferieninsel im Mittelmeer (gedreht wurde auf Fuerteventura). Hier arbeitet Tom (Sam Riley) als Tennislehrer in einer schicken Hotelanlage. Er scheint der Prototyp einer gescheiterten Existenz; Anfang vierzig und ohne Familie, trainiert er tagsüber gelangweilt mit den Urlaubern und betäubt die Leere seines Daseins des Nachts regelmäßig in der örtlichen Diskothek und mit One-Night-Stands. Sein größtes Problem ist die Tatsache, dass die Tennisstunden bereits um neun Uhr morgens beginnen. Der Zuschauer erfährt nichts über Toms Vergangenheit, sein Woher und Wohin, sodass dieser eine recht blasse Hauptfigur bleibt und nicht wirklich zum Sympathieträger wird. Sein Trott wird erst durch die Ankunft der Familie Maguire unterbrochen. Bei den Tennisstunden für Sohn Anton freunden sich Anne und Dave, die beiden Eltern, mit Tom an. Warum Tom flugs den Tennisunterricht sausen lässt und damit seinen Job riskiert, um Zeit mit den Maguires zu verbringen, bleibt im Unklaren. Beruht die Anziehung auf unterschwelligem Neid auf das junge Familienglück? Oder ist er einfach nur scharf auf die hinreißend gut aussehende Anne?

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Während der gemeinsamen Streifzüge über die Insel wird schnell klar, dass Tom und Anne (Stacy Martin) voneinander angezogen sind, ein zartes Knistern liegt in der Luft, wenn sich Anne von ihm den Rücken eincremen lässt, während Dave (Jack Farthing) mit dem Sohn im Wasser tollt. Klar, dass es in der Ehe von Anne und Dave kriselt, und darüber hinaus scheint Anne ein Geheimnis mit sich herumzutragen. Das alles ist erstaunlich konventionell, wenn auch routiniert erzählt und gefilmt, und der erwartungsfrohe Rezensent wartet auf den Knall, mit dem die Handlung endlich in Fahrt kommt. Leider plätschert der Film weiter fast eine Stunde vor sich hin, ohne dass etwas Bemerkenswertes geschieht. Bis dann plötzlich Dave nach einem Ausflug zur erwähnten Diskothek spurlos verschwindet. Selbstverständlich unterstützt Tom die erstaunlich gelassen bleibende Gattin bei der Suche nach ihrem Mann. Nachdem die Suche erfolglos und die Polizei eingeschaltet ist, ergeben sich bald Zweifel am Hergang des Geschehens und Anne und Tom geraten unter Verdacht, etwas mit dem vermeintlichen Tod des armen Dave zu tun zu haben.

Klingt banal? Ist es leider auch. Auch dass sich Anne immer mehr zur Femme fatale wandelt, kann nicht verhindern, dass Tom seltsam passiv wie ein Trottel hinter ihr her läuft und der Zuschauer sich nach anderthalb Stunden Laufzeit immer noch fragt, wohin die Reise denn nun geht. So ist »Islands« weder Fisch noch Fleisch; für einen Arthouse-Film zu belanglos, für ein Psychodrama zu harmlos, für einen Thriller zu spannungsarm. Im letzten Drittel des Films verliert er dann auch noch zusehends an Plausibilität, als wenn dem Autor nichts mehr eingefallen wäre. Natürlich ist am Ende alles ganz anders als gedacht, aber so richtig in Erstaunen versetzen kann das den Zuschauer, der zu lange auf eine Überraschung gewartet hat, nicht mehr. P.S. Das vermeintliche Geheimnis Annes war gar keins.

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